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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Überrascht von einer Umarmung

Freitag, 8. Januar 2016

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 3, 22. Januar 2016

 

Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit erinnert uns daran, dass es immer »Gott ist, der zuerst liebt«, bedingungslos, und der uns annimmt, so wie wir sind, um uns zu umarmen und uns zu vergeben wie ein Vater. In der heiligen Messe, die Franziskus am 8. Januar in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta feierte, erinnerte er vor allem an diejenigen, die sich als Sünder fühlen, an die unerschütterliche Gewissheit der Liebe Gottes.

»Der Apostel Johannes fährt fort«, so der Papst, »zu den ersten Christen über die beiden Gebote zu sprechen, die Jesus uns gelehrt hat: Gott lieben und den Nächsten lieben.« Dazu sage die Tageslesung aus dem ersten Johannesbrief (4,7-10): »Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott.« Franziskus unterstrich: »Dieses Wort ›Liebe‹ wird so oft verwendet, und wenn man es verwendet, weiß man häufig gar nicht, was es genau bedeutet.« Was also sei Liebe? Manchmal dächten wir an die »Liebe der Telenovelas. Nein, das scheint keine Liebe zu sein. Oder Liebe scheint die Begeisterung für einen Menschen zu sein, die dann nachlässt und vergeht.« Die wirkliche Frage sei demnach: »Woher kommt die wahre Liebe?« Johannes schreibe: »Jeder, der liebt, stammt von Gott […], denn Gott ist die Liebe.« Der Apostel sage nicht: »Jede Liebe ist Gott.« Er sage dagegen: »Gott ist die Liebe.« Und Johannes fahre fort: »Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.« Papst Franziskus bemerkte: »Gott gibt sein Leben in Jesus, um uns das Leben zu geben.« Daher sei »die Liebe schön. Lieben ist schön, und im Himmel wird es nur Liebe geben: das sagt Paulus.« Und wenn die Liebe schön sei, dann »wird sie stark und wächst in der Hingabe des eigenen Lebens: sie wächst, wenn sie sich an die anderen verschenkt.«

Der Papst wiederholte einen weiteren Satz aus dem Johannesbrief: »Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.« Und er fügte hinzu: »Gott hat uns zuerst geliebt. Er hat uns aus Liebe das Leben geschenkt, er hat sein Leben und seinen Sohn aus Liebe hingegeben.« Daher gebe es immer »eine Überraschung, wenn wir Gott finden: Er ist es, der uns zuerst erwartet. Er ist es, der uns findet.«

Anschließend bezog sich der Papst auf den Abschnitt aus dem Markusevangelium (6,34-44), der in der Liturgie verlesen worden war. Er lud ein, in der Szene der Brotvermehrung auf Jesus zu blicken. »Jene Menschen folgten ihm, um ihn zu hören, denn er sprach wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten.« Jesus habe die Menschen angeblickt und habe mehr gesehen. »Gerade weil er liebte, so sagt das Evangelium, ›hatte er Mitleid mit ihnen‹. Was nicht dasselbe ist wie jemanden bedauern.« Das richtige Wort sei »Mit-Leid: die Liebe führt ihn dazu, mit ihnen zu leiden, an ihrem Leben teilzunehmen «. Und »der Herr ist immer da und liebt als Erster: Er wartet auf uns, er ist die Überraschung.« Genau dies geschehe »Andreas, als er zu Petrus geht, um ihm zu sagen: ›Wir haben den Messias gefunden. Komm!‹ Petrus geht, Jesus blickt ihn an und sagt zu ihm: ›Du bist Simon? Du wirst Petrus sein.‹ Er wartete auf ihn mit einer Sendung. Er hatte ihn als Erster geliebt.« Dasselbe geschehe, »als Zachäus, der klein von Gestalt war, auf den Baum klettert, um Jesus besser sehen zu können«. Dieser »kommt vorbei, schaut hinauf und sagt: ›Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.‹ Und Zachäus, der Jesus begegnen wollte, stellte fest, dass Jesus auf ihn wartete.« Dann erinnerte Franziskus an die Geschichte Natanaëls, der »hingeht, um den zu sehen, von dem man ihm gesagt hatte, dass er der Messias sei, und der etwas skeptisch ist. Jesus sagt: ›Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen.‹« Folglich »ist es immer Gott, der als Erster liebt«.

Daran erinnere auch das Gleichnis vom Verlorenen Sohn: »Als der Sohn, der das ganze Geld der Erbschaft des Vaters in einem zügellosen Leben durchgebracht hatte, heimkehrt, stellt er fest, dass der Vater bereits auf ihn wartet. Gott erwartet uns immer als Erster. Vor uns, immer. Und als der andere Sohn nicht zum Fest kommen will, weil er das Verhalten seines Vaters nicht versteht, geht der Vater ihn suchen. Und genau dasselbe macht Gott mit uns: er liebt uns immer als Erster.« So »können wir im Evangelium sehen, wie Gott liebt: Wenn wir etwas auf dem Herzen haben und den Herrn um Vergebung bitten wollen, dann erwartet er uns schon, um uns seine Vergebung zu schenken.«

Dieses Jahr der Barmherzigkeit, so unterstrich Franziskus, »ist ein bisschen auch das: dass wir wissen, dass uns der Herr erwartet, einen jeden von uns«. Und er erwarte uns, »um uns zu umarmen, weiter nichts, um zu sagen: ›Mein Sohn, meine Tochter, ich liebe dich. Ich habe für dich zugelassen, dass sie meinen Sohn gekreuzigt haben. Das ist der Preis meiner Liebe. Das ist das Geschenk der Liebe.‹« Und der Papst empfahl, stets an diese Wahrheit zu denken: »Der Herr wartet auf mich. Der Herr will, dass ich die Tür meines Herzens öffne, denn er ist da und erwartet mich, um einzutreten. « Ohne Bedingungen zu stellen. Gewiss, jemand könnte sagen: »Aber Vater, nein, nein, ich würde ja schon ganz gern, aber ich habe viele hässliche Dinge in mir!« In diesem Zusammenhang war die Antwort von Papst Franziskus ganz eindeutig: »Besser so! Besser! Denn er erwartet dich, so wie du bist, nicht so, wie zu dir gesagt wird, dass ›man sich verhalten soll‹. Man muss so sein, wie du bist. So liebt er dich, um dich zu umarmen, dich zu küssen, dir zu vergeben.« Daher lautete die abschließende Aufforderung des Papstes, ohne weiteres Zögern zum Herrn zu gehen und zu sagen: »Du weißt, Herr, dass ich dich liebe.« Oder wenn ich das »nicht über die Lippen bringe, es auf folgende Weise zu sagen: ›Du weißt, Herr, dass ich dich gerne lieben würde, aber ich bin ein großer Sünder, eine große Sünderin.‹« In der Gewissheit, dass er sich so verhalten werde, wie es der Vater »dem verlorenen Sohn gegenüber tut, der alles Geld für seine Laster verprasst hat. Er wird dich gar nicht erst zu Ende reden lassen. Er wird dich mit einer Umarmung zum Schweigen bringen: mit der Umarmung der Liebe Gottes.«

 

 



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