PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Das Kriterium
Donnerstag, 7. Januar 2016
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 3, 22. Januar 2016
Wer die Werke der Barmherzigkeit in die Tat umsetzt, hat den Beweis, dass sein Handeln von Gott kommt: denn das einzige Kriterium, um dies zu erkennen, bezieht sich auf die Konkretheit der »Menschwerdung Jesu, der im Fleisch gekommen ist«. Daher hat es keinen Sinn »Pastoralpläne zu entwerfen und neue Methoden zu erfinden, um den Menschen näher zu sein«, wenn der Glaube an den Mensch gewordenen Jesus nicht zum Dienst an den anderen führt. Darauf wies Franziskus in der heiligen Messe hin, die er am Morgen des 7. Januar in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte. Und er warnte auch vor jenen, die nur scheinbar geistliche Menschen sind, denn wenn dieser Geist nicht von Gott komme, sei es »der Antichrist«, der Ausdruck der »Weltlichkeit«.
Der Papst ging bei seinen Überlegungen vom ersten Johannesbrief aus (3,23-4,6) und wies zu Beginn darauf hin, dass der Apostel Johannes »ein beim Letzten Abendmahl verwendetes Wort Jesu« aufgreife: »bleiben«. Johannes schreibe wörtlich: »Wer seine Gebote hält, ›bleibt‹ in Gott und Gott in ihm.« Dieses »Bleiben in Gott« sei ein wenig »der Atem des christlichen Lebens und sein Stil«, erläuterte Franziskus. Denn man könne sagen, dass »Christ derjenige ist, der in Gott bleibt«. Johannes schreibe weiter in seinem Brief: »Und dass er in uns bleibt, erkennen wir an dem Geist, den er uns gegeben hat.«
Ein Christ sei also »derjenige, der den Heiligen Geist ›hat‹ und sich von ihm leiten lässt: in Gott bleiben und Gott bleibt in uns durch den Geist, den er uns geschenkt hat«. Der Papst wies auf die Mahnung des Apostels zur Aufmerksamkeit hin: »Hier kommt das Problem. Seid wachsam, traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind!« Genau »das ist die Regel des täglichen Lebens, die uns Johannes lehrt«. »Die Geister prüfen« also. »Aber was heißt das: ›die Geister prüfen‹? Es scheint, dass da Gespenster sind…« Aber nein, unterstrich Franziskus, denn in Wirklichkeit rufe Johannes auf, die Geister zu prüfen, um abzuwägen, woher sie kommen: den Geist prüfen; prüfen, was in meinem Herzen geschieht«. Das »führt uns dorthin, zum Herzen«, um uns zu fragen: »Was geschieht in meinem Herzen? Was spüre ich dort? Was will ich tun? Die Wurzel von dem, was ich jetzt spüre, woher kommt es?«
Darin bestehe das abwägende Prüfen, so der Papst. Und gerade das Wort »abwägen« sei angemessen, um dieses Prüfen zu bezeichnen, »ob das, was ich spüre, von Gott kommt, vom Geist, der mich in Gott bleiben lässt, oder vom anderen Geist«. Auf die Frage: »Wer ist der andere Geist?«, antwortete Franziskus ganz klar: »Der Antichrist. « Im Übrigen sei »die Überlegung von Johannes einfach, direkt, geradezu zirkulär, weil er auf dasselbe Argument zurückkommt: entweder gehörst du Jesus oder du gehörst der Welt«. Damit greife er die Bitte Jesu an den Vater auf, der für uns alle gebeten habe, dass Gott »uns nicht aus der Welt nimmt, sondern uns vor der Welt bewahrt«. Denn »die Weltlichkeit ist der Geist, der uns vom Geist Gottes entfernt. Der Geist Gottes dagegen lässt uns im Herrn bleiben.«
Anschließend verwies der Papst auf einige Fragen, die sich vielleicht stellen könnten: »Ja, Pater, das ist alles ganz klar. Aber was sind die Kriterien, um gut zu unterscheiden, was in meiner Seele geschieht?« Johannes gebe ein einziges Kriterium an: »Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist« – jedes Gefühl, jede Inspiration, die ich spüre –, »der bekennt, Jesus Christus sei im Fleisch gekommen, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott.« »Das Kriterium ist Jesus, der im Fleisch gekommen ist. Das Kriterium ist die Menschwerdung «, unterstrich Franziskus. Man könne »im Inneren sehr viele Dinge spüren, auch Gutes, gute Ideen. Aber wenn diese guten Ideen und Empfindungen mich nicht zu Gott führen, der Fleisch geworden ist, wenn sie mich nicht zum Nächsten, zum Bruder, zur Schwester führen, dann sind sie nicht von Gott.« Daher »beginnt Johannes diesen Abschnitt seines Briefes mit den Worten: ›Das ist das Gebot Gottes: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben.‹« Diese Wahrheit auf das tägliche Leben des Christen anwendend sagte der Papst: »Wir können viele Pastoralpläne entwerfen, neue Methoden erfinden, um uns den Menschen zu nähern. Aber wenn wir nicht den Weg Gottes gehen, der im Fleisch gekommen ist, den Weg des Gottessohnes, der Mensch geworden ist, um den Weg mit uns zu gehen, dann sind wir nicht auf dem Weg des guten Geistes.« Vielmehr überwiege dann »der Antichrist, die Weltlichkeit, der Geist der Welt«.
Franziskus fügte hinzu: »Wie vielen Menschen begegnen wir im Leben, die nur geistlich zu sein scheinen, weil die Werke der Barmherzigkeit keine Rolle spielen.« »Warum? Weil gerade die Werke der Barmherzigkeit konkreter Ausdruck unseres Bekenntnisses sind, dass der Sohn Gottes Mensch geworden ist: Kranke besuchen, Hungernde speisen, sich um die Ausgegrenzten kümmern, denn jeder Bruder, jede Schwester, die wir lieben müssen, ist das Fleisch Christi: Gott ist Fleisch geworden, um sich mit uns zu identifizieren. Und was jeder erleidet: immer ist es Christus, der es erleidet.«
»Wenn du auf diesem Weg bist, wenn du das spürst«, so der Papst, »dann bist du auf dem richtigen Weg.« Genau dies sei »das Kriterium der Unterscheidung, um die Empfindungen und die Geister nicht zu verwechseln, um nicht auf einen falschen Weg zu geraten«. So sage der Apostel Johannes: »Traut nicht jedem Geist« – seid wachsam –, »sondern prüft die Geister, ob sie wirklich aus Gott sind.« Franziskus unterstrich: »Daher ist der Dienst am Nächsten, dem Bruder, der Schwester, die auch nur einen Rat, das Zuhören brauchen – es gibt so viele Bedürfnisse – das Zeichen, dass wir auf dem Weg des guten Geistes sind, das heißt auf dem Weg des Wortes Gottes, das Fleisch geworden ist.« Bevor Franziskus die Eucharistiefeier fortsetzte, bat er den Herrn um die Gnade, »gut zu erkennen, was in unserem Herzen geschieht, was uns gefällt, das heißt, was uns mehr berührt: ob es der Geist Gottes ist, der mich dazu führt, den anderen zu dienen, oder ob es der Geist der Welt ist, der nur um mich selber kreist, um meine Verschlossenheit meinen Egoismus und vieles Andere «. »Ja«, so der Papst abschließend: »Bitten wir um die Gnade zu erkennen, was in unserem Herzen geschieht.«
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