Index   Back Top Print

[ DE ]

PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Das letzte Wort

Dienstag, 9. Juni 2015

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 26, 26. Juni 2015

 

Die »christliche Identität« bezieht ihre Kraft aus dem Zeugnis und lässt keine Zweideutigkeiten zu: Aus diesem Grund darf das Christentum nicht »verwässert« werden, es darf seinen »Anstoß erregenden« Charakter nicht verbergen, und auch nicht in eine »schöne Idee« für Menschen, die unentwegt nach »Neuem« suchen, verwandelt werden. Und man muss auch vorsichtig sein, nicht der Versuchung der Weltlichkeit zu erliegen, die jene Menschen kennzeichnet, die »ein dehnbares Gewissen« haben, das so flexibel ist, dass so gut wie alles damit vereinbar ist. Das bekräftigte der Papst im Rahmen der Frühmesse, die er am Dienstag, 9. Juni, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, und er erinnerte daran, dass »Gottes letztes Wort ›Jesus‹ heißt, und nichts weiter«.

»Die heutige Liturgie hat die christliche Identität zum Thema«, so merkte Franziskus an, um dann direkt zur zentralen Fragestellung vorzudringen: »Was ist diese christliche Identität?« Unter Bezug auf die erste Lesung zum Tage (2 Kor 1,18-22) erinnerte der Papst daran, dass »Paulus anfängt, den Korinthern zu erzählen, was sie alles durchgemacht hatten, die vielen Verfolgungen«, und »an das Zeugnis, das sie für Jesus Christus abgelegt hatten«. Und er schreibe ihnen: »Ich rühme mich dessen – also: ich rühme mich meiner christlichen Identität –, dass es so gegangen ist. Und Gott ist der Zeuge dafür, dass das Wort, das wir an euch richten, ›Ja‹ lautet, das heißt wir erzählen euch über unsere Identität, wie sie beschaffen ist«.

»Um zu dieser christlichen Identität zu gelangen«, so erläuterte Franziskus, »hat uns Gott, unser Vater, einen langen Weg durch die Geschichte, durch Jahrhunderte und Aber-Jahrhunderte gehen lassen, mit allegorischen Figuren, mit Verheißungen, mit Bündnissen, und zwar bis zu jenem Augenblick, in dem die Zeit erfüllt war, als er seinen von einer Frau geborenen Sohn sandte«. Es habe sich also um »einen langen Weg« gehandelt. Und, so bekräftigte der Papst, »auch wir müssen in unserem Leben einen langen Weg zurücklegen, damit diese christliche Identität stark werden und Zeugnis ablegen kann«. Einen Weg, so präzisierte er, »den wir so definieren können, dass er von der anfänglichen Zweideutigkeit hinführt zur wahren Identität«.

Der Apostel schreibe also im Korintherbrief, dass »›unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich‹, also zweideutig, ist«. In der Tat füge Paulus hinzu: »Denn Gottes Sohn, Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde,… ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht.« Aus diesem Grund, so sagte der Papst, bestehe »unsere Identität gerade darin, Jesus Christus, der das ›Ja‹ Gottes zu uns verkörpert, nachzuahmen, ihm nachzufolgen«. Und »das ist unser Leben: Alle Tage hinzugehen, um diese Identität zu stärken und Zeugnis abzulegen, Schritt für Schritt, immer aber auf das ›Ja‹ zu, ohne jede Zweideutigkeit«. »Es ist wahr«, gestand der Papst, »die Sünde existiert und die Sünde bringt uns zu Fall, aber wir haben die Kraft des Herrn, um wieder aufzustehen und mit unserer Identität weiterzugehen«. Aber, so fügte er hinzu, »ich meine auch, dass die Sünde Teil unserer Identität ist: Wir sind Sünder, aber Sünder, die den Glauben an Jesus Christus haben«. Daher, so führte der Papst aus, »ist es Gott selbst, der uns in Christus festigt. Und er hat uns gesalbt, er hat uns das Siegel aufgedrückt, er hat uns die Anzahlung gegeben, das Pfand des Geistes in unseren Herzen«. Ja, so betonte Franziskus, »Gott ist es, der uns dieses Geschenk der Identität macht«, und »die Schwierigkeit besteht darin, dieser christlichen Identität treu zu bleiben und zuzulassen, dass der Heilige Geist, der die Garantie, das Pfand in unserem Herzen ist, uns im Leben voranbringt«.

»Wir sind keine Menschen, die einer Philosophie nachlaufen«, so bekräftigte der Papst weiter, weil »wir ein Geschenk erhalten haben, und zwar unsere Identität: Wir sind gesalbt, das Siegel wurde uns aufgeprägt und wir tragen die Garantie in uns, die Garantie des Geistes«. Und »hier beginnt der Himmel, es ist eine schöne Identität, die sich im Zeugnis zeigt«. Aus eben diesem Grund, so fügte er hinzu, »spricht Jesus vom Zeugnis als der Sprache unserer christlichen Identität«, wenn er sage: »Ihr sei das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen?« Der Papst zitierte hier das Tagesevangelium nach Matthäus (5,13-16). Gewiss, so fuhr der Papst fort, »da wir Sünder sind, sieht sich die christliche Identität auch Versuchungen ausgesetzt, sie wird versucht – Versuchungen gibt es immer – und sie kann auch schwächer werden und abhanden kommen«. Aber wie könne es dazu kommen? »Meines Erachtens «, so meinte der Papst, »kann sie hauptsächlich auf zwei Wegen abnehmen«.

Der erste, so erläuterte er, sei »der Weg, vom Zeugnis zu den Ideen überzugehen«, also »das Zeugnis zu verwässern«. So als sage man: »Ja doch, ich bin Christ, das Christentum ist das: eine schöne Idee. Ich bete zu Gott.« Aber »auf diese Weise gehen wir vom konkreten Christus – denn die christliche Identität ist etwas Konkretes, wie wir in den Seligpreisungen lesen; dieses Konkrete finden wir auch im Matthäusevangelium, Kap. 25 – zu dieser etwas ›soften‹ Religion über, im Sog und auf der Straße der Gnostiker«. Dahinter stehe aber »das Ärgernis: diese Art von christlicher Identität ist ein Ärgernis«. Folglich »besteht die Versuchung darin, ›Nein‹ zu sagen, ›Nein, ohne Ärgernis‹; das Kreuz ist ein Ärgernis; dass Gott Mensch geworden ist« sei »ein weiteres Ärgernis « und werde weggelassen; wir suchten Gott also »mit diesen etwas ätherischen, luftigen christlichen Spiritualitäten«. Das führe dazu, so der Papst, dass »es moderne Gnostiker gibt, die dir das anbieten, eben das: Nein! Das letzt Wort Gottes lautet Jesus Christus, es gibt kein anderes!« »Auf diesem Weg«, so fuhr Franziskus fort, befänden sich auch »jene Menschen, die unentwegt etwas Neues in ihrer christlichen Identität brauchen: Sie haben vergessen, dass sie auserwählt wurden, gesalbt wurden, dass sie die Garantie des Geistes haben, und suchen: ›Wo bleiben die Seher, die uns heute den Brief vorlesen, den uns die Gottesmutter um vier Uhr nachmittags schicken wird?‹ Das ist ein Beispiel, nicht wahr? Und davon leben sie.« Aber »das ist nicht die christliche Identität. Das letzte Wort Gottes lautet ›Jesus‹, und weiter nichts!«

»Ein weiterer Weg, um in der christlichen Identität Rückschritte zu machen, ist die Weltlichkeit«, so fuhr der Papst fort. Er bestehe darin, »das Gewissen so weit zu erweitern, dass alles hineinpasst: ›Ja, wir sind Christen, aber das: ja…‹, nicht nur moralisch, sondern auch menschlich«. Denn »die Weltlichkeit ist menschlich, und so verliert das Salz seinen Geschmack«. Eben aus diesem Grund, so erläuterte der Papst, »sehen wir christliche Gemeinschaften, und auch Christen, die sich als Christen bezeichnen, die aber außerstande sind, die nicht wissen, wie sie für Jesus Christus zeugen sollen.« Und »so macht die Identität Rückschritte, geht zurück und verliert sich«, und das sei »dieser weltliche Nominalismus, den wir alle Tage zu Gesicht bekommen«. »In der Heilsgeschichte«, so sagte Franziskus, »hat uns Gott mit seiner väterlichen Geduld von der Zweideutigkeit zur Gewissheit geführt, zum konkreten Faktum der Fleischwerdung und des Erlösungstodes seines Sohnes: das ist unsere Identität.« Und »Paulus rühmt sich gerade dessen: Jesus Christus, der Mensch geworden ist; Gott, der Gottessohn, ist aus Gehorsam Mensch geworden und gestorben«. Ja, so bekräftigte der Papst, Paulus »rühmt sich dessen« und »das ist die Identität und da ist das Zeugnis«. Das sei »eine Gnade, um die wir den Herrn bitten müssen: mache uns immer dieses Geschenk, diese Gabe einer Identität, die nicht versucht, sich an Dinge anzupassen, die sie den Salzgeschmack verlieren lassen würden«.

Bevor er mit der Messfeier fortfuhr, verabsäumte Franziskus es nicht, zu betonen, dass auch diese »ein ›Ärgernis‹« sei. Ja, er schloss: »Ich erlaube mir zu sagen ›ein doppeltes Ärgernis‹.« Erstens, so führte er aus, »weil es das ›Ärgernis‹ des Kreuzes ist: Jesus, der Sohn Gottes, der sein Leben für uns hingibt«. Und zweitens »das ›Ärgernis‹, dass wir Christen das Gedächtnis an den Tod des Herrn feiern und wissen, dass sich diese Erinnerung hier erneuert«. Dadurch sei gerade die eucharistische Feier »ein Zeugnis für unsere christliche Identität«.



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana