PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Der verworfene Eckstein
Montag, 1. Juni 2015
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 25, 19. Juni 2015
Gott ruft immer eine »Liebesgeschichte« mit einem jeden von uns ins Leben. Und auch trotz der scheinbaren – großen oder kleinen – »Niederlagen« siegt letztendlich dieser »Traum der Liebe«. Dieser »schwierige Weg« und Gott, der das Heil durch das bewirkt, was verworfen worden war, standen im Mittelpunkt der Predigt, die Franziskus in der heiligen Messe am Morgen des 1. Juni wie gewöhnlich in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta hielt.
Das Gleichnis von den bösen Winzern aus dem Tagesevangelium (Mk 12,1-12) ist dem Papst zufolge »eine Zusammenfassung der Heilsgeschichte, die Jesus an die Hohenpriester, Schriftgelehrte und Älteste richtet: das heißt an die führenden Männer des Volkes Israel, in deren Händen die Leitung des Volkes lag, in deren Händen die Verheißung Gottes lag«. »Es ist ein schönes Gleichnis«, bemerkte Franziskus, das »mit einem Traum beginnt, einem Liebesplan: Jener Mann legt einen Weinberg an, umgibt ihn mit einem Zaun, hebt eine Kelter aus und baut einen Turm«. All dies »tut er mit Liebe«. Denn der Mann liebt jenen neuen Weinberg« und so »verpachtet er ihn, gibt ihn andern«, damit er Frucht bringe. »Als dann die Zeit gekommen war, schickte er einen Knecht zu den Winzern, um bei ihnen seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs holen zu lassen, und da beginnt das, was wir gehört haben: einen prügelten sie, einen misshandelten sie und einen brachten sie um.« Schließlich »sendet er seinen Sohn«, aber die Winzer »töten ihn: so endet die Geschichte«.
Im Grunde, so erläuterte der Papst, scheint diese Geschichte »eine Geschichte der Niederlagen zu sein«, während sie »eigentlich eine Liebesgeschichte sein und den Weg der Liebe zwischen Gott und seinem Volk gehen sollte«. »Gott – der Vater des Volkes, der dieses Volk für sich auserwählt hat, weil es ein kleines Volk ist und weil er es liebt, weil er sich mit Liebe nach ihm sehnt – scheint zu scheitern.« »Diese Heilsgeschichte könnte man mit gutem Grund eine Geschichte des Scheiterns nennen, die schon ganz am Anfang beginnt. Und auch in dieser Niederlage des Traumes Gottes gibt es von Anfang an das Blut – das Blut Abels –, und von dort aus geht es weiter: das Blut aller Propheten, die gekommen waren, um zum Volk zu sprechen, um den Erhalt des Weinbergs zu unterstützen, bis hin zum Blut seines Sohnes.«
Aber zum Schluss gebe es ein »Wort Gottes, das uns nachdenklich macht: Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun?« »Er wird kommen und das Volk richten.« Dann sage Jesus »ein Wort, das ein wenig fehl am Platz zu sein scheint: ›Habt ihr nicht das Schriftwort gelesen? Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder.‹« Der Papst machte deutlich, dass »jene Geschichte des Scheiterns sich umkehrt, und dass das, was verworfen worden war, zur Kraft wird«. So »werden die Propheten, die Männer Gottes, die zum Volk gesprochen haben, auf die man nicht gehört hat, die verworfen worden sind, der Ruhm des Volkes sein«. Der Sohn, »der zuletzt gesandt wurde, der verworfen und verurteilt wurde, auf den man nicht gehört hat und der getötet wurde, dieser ist zum Eckstein geworden«. »Diese Geschichte – die mit einem Traum der Liebe beginnt und eine Liebesgeschichte zu sein scheint, die dann aber zur Geschichte eines Scheiterns zu werden scheint – endet mit der großen Liebe Gottes, der aus dem Verworfenen das Heil zu bewirken weiß; durch seinen Sohn, der verworfen wurde, rettet er uns alle.«
Für den Papst ist es eine schöne Erfahrung, »in der Bibel die vielen Klagen Gottes zu lesen«. So sage »Gott zu seinem Volk: ›Warum tust du das? Denke an all das, was ich für dich getan habe: wie ich die erwählt habe, wie ich dich befreit habe. Warum tust du mir das an?‹« Der Vater »klagt und weint auch«. Und am Ende stehe jenes »Weinen Jesu über Jerusalem: ›Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten.‹« Das sei die »Geschichte eines Volkes, das sich nicht von jenem Wunsch befreien kann, den Satan in die Herzen der Stammeltern gesät hat: Ihr werdet sein wie Gott.« Es sei ein »Volk, das Gott nicht zu gehorchen weiß, weil es selbst Gott werden will«. Diese Haltung mache »ein Volk verschlossen, ein Volk, in dem sich die Amtsträger verhärten«. Daher sei der Schluss des gelesenen Abschnitts »traurig«, denn es trete die »Härte der Priester, der Gesetzeslehrer hervor: Sie hätten Jesus gerne verhaften lassen, um ihn zu töten, aber sie fürchteten die Menge. Denn sie hatten gemerkt, dass er mit diesem Gleichnis sie meinte. Da ließen sie ihn stehen und gingen weg.«
»Der Weg unserer Erlösung ist ein Weg, auf dem es nicht an vielerlei Niederlagen fehlt«, so Papst Franziskus. »Und auch das letzte Scheitern, das Kreuz, ist ein Skandalon: aber gerade hier siegt die Liebe.« Jene Geschichte, »die als Traum von der Liebe beginnt und mit einer Geschichte des Scheiterns weitergeht, endet mit dem Sieg der Liebe: mit dem Kreuz Jesu«. Franziskus forderte auf, »diesen Weg nicht zu vergessen«, auch wenn es »ein schwieriger Weg« sei. Auch »unser Weg« sei immer schwierig. »Wenn jeder von uns sein Gewissen erforscht, dann wird er sehen, wie oft er die Propheten verjagt hat, wie oft er zu Jesus gesagt hat: ›Geh weg!‹, wie oft er sich selbst retten wollte, wie oft er gedacht hat, gerecht zu sein.«
»Die Liebe Gottes zu seinem Volk zeigt sich im Opfer seines Sohnes, das wir nun erneut wahrhaft darbringen werden«, sagte der Papst abschließend. »Wenn Jesus auf den Altar kommt und wir ihn dem Vater darbringen, wird es gut sein, an diese Liebesgeschichte zu denken, die zu scheitern scheint, in der aber am Schluss die Liebe siegt.« Es sei wichtig, »in der Geschichte unseres Lebens an jenen Samen der Liebe zu denken, den Gott in uns hineingelegt hat«. Und folglich »das zu tun, was Jesus in unserem Namen getan hat: sich in Demut zu entäußern«. So werde es auch »uns guttun, uns vor diesem Herrn zu demütigen, der nun kommt, um mit uns das Gedächtnis seines Sieges zu feiern«.
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