PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Wo der Anstoß liegt
Montag, 11. Mai 2015
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 21, 22. Mai 2015
»Die Kopten, denen die Kehle durchgeschnitten wurde, weil sie Christen waren«, seien »mit dem Namen Jesu auf den Lippen gestorben«, weil sie bis ins Letzte »das Ärgernis des Kreuzes« verstanden hatten. Doch »der Weg des Martyriums« ist Teil des alltäglichen Lebens eines jeden Christen, auch in der Familie, bei der Verteidigung der Rechte der Menschen, in der Erfahrung der Krankheit. Und es sei der Heilige Geist, der helfe, Zeugnis ablegen und »die ganze Wahrheit« aufnehmen zu können. Dies erklärte Papst Franziskus bei der Messe am Montag, 11. Mai, in der Kapelle der »Casa Santa Marta«. Er erinnerte daran, dass er am Sonntag anlässlich des Tages der Freundschaft zwischen Kopten und Katholiken, des zweiten Jahrestages des Besuchs des koptischen Patriarchen Tawadros im Vatikan am 10. Mai 2013, mit ihm telefoniert hatte.
»Im ersten Gebet vom Tag« zu Beginn der Messe, so der Papst, »haben wir um die Gnade gebetet, dass die Fruchtbarkeit der österlichen Geheimnisse durch alle Tage immer gegenwärtig bleibt«. Und in der Tat: »Ostern ist fruchtbar«, weil »es das Leben ist, das Jesus Christus, der Herr, uns durch sein Kreuz und seine Auferstehung geschenkt hat«. Doch »wie wird diese Fruchtbarkeit verwirklicht?« Die Antwort, merkte Franziskus an, sei gerade im Evangelium nach Johannes zu finden (15,26-16.4), das dieheutige Liturgie unterbreite.
Praktisch sei es so, dass »der Herr seine Jünger auf die Zukunft vorbereitet«. Und »es ist da ein Wort, das ein wenig merkwürdig erscheinen könnte: Anstoß nehmen«. Jesus erkläre, wie Johannes berichte: »Das habe ich euch gesagt, damit ihr keinen Anstoß nehmt«. Die Frage, die es zu verstehen gelte, sei: »Von welchem Anstoß spricht Jesus? Vom Ärgernis der Verfolgungen, die kommen werden, vom Ärgernis des Kreuzes?« Der Herr »fügt eine Verheißung hinzu«, indem er sage: »Wenn der Beistand kommt, der Geist der Wahrheit, dann wird er Zeugnis ablegen«. Und dann, »immer in derselben Rede«, erkläre er weiter: »Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen«. Jesus also »spricht zu uns von der Zukunft, vom Kreuz, das uns erwartet, und er spricht vom Geist, der uns darauf vorbereitet, das christliche Zeugnis abzulegen«.
Im übrigen, fuhr der Papst fort, »lässt uns die Kirche in diesen Tagen viel über den Heiligen Geist nachdenken: Jesus sagt, dass der Heilige Geist kommen wird, dass er ihn senden wird, dass er zur vollen Wahrheit führen wird, das heißt: dass er uns die Dinge lehren wird, die ich noch nicht gelehrt habe, diese Dinge, die er sagen muss und deren Last zu tragen die Jünger noch nicht fähig sind«. Weiter erkläre der Herr, dass »der Geist euch an die Dinge erinnern wird, die ich gesagt habe und die mit dem Leben in Vergessenheit geraten sind«. Ja, so Franziskus, »das ist es, was der Geist wirkt: er lässt uns an die Worte Jesu erinnern und lehrt uns die Dinge, die Jesus noch nicht sagen konnte, da wir nicht in der Lage waren, deren Reichweite begreifen zu können«.
»So ist das Leben der Kirche ein Weg, der vom Geist geführt wird, der uns erinnert und lehrt, der uns zur ganzen Wahrheit führt«, unterstrich der Papst. Und »dieser Geist, der Weggefährte ist, schützt uns auch vor dem Ärgernis des Kreuzes«. Als der heilige Paulus zu den Korinthern spreche, sage er: »Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit«. Dann fahre er fort und füge hinzu: »Die Juden fordern Zeichen«. Und »tatsächlich, wie oft haben im Evangelium die Juden, die Schriftgelehrten von Jesus gefordert, ihnen ein Zeichen zu geben«. Ihrerseits »fordern die Griechen, also die Heiden, Weisheit, neue Ideen«. Doch »wir verkünden nur Jesus, den gekreuzigten, Ärgernis für euch – für die Juden – und Torheit für die Heiden«.
Das Kreuz Christi also sei Ärgernis. Aus diesem Grund, klärte Franziskus, »bereitet Jesus das Herz seiner Jünger mit der Verheißung des Beistandes für das vor, was ihnen zustoßen wird«. Und er sage: »Das habe ich euch gesagt, damit ihr keinen Anstoß nehmt« am Kreuz Christi. Johannes gebe diese Worte Jesu wieder: »Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen, ja es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten. Und wir heute, so Franziskus, »sind Zeugen dieser Menschen, die die Christen im Namen Gottes töten, da sie ihrer Ansicht nach Ungläubige sind«. Das »ist das Kreuz Christi«. Hier liege die Aktualität der Worte Jesu im Evangelium der Tagesliturgie: »Das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben«. So rufe Jesus in Erinnerung, dass das, was ihm geschehen sei, auch uns geschehen werde: »die Verfolgungen, die Drangsale«. Daher dürfe man keinen Anstoß nehmen, im Bewusstsein, dass »der Geist uns führen und begreifen lassen wird«.
»Gestern«, vertraute der Papst an, »habe ich die Freude gehabt, mit dem koptischen Patriarchen Tawadros zu telefonieren, da der Tag der koptisch-katholischen Freundschaft war: wir haben über einiges gesprochen«. Doch »ich gedachte seiner Gläubigen, die auf dem Strand abgeschlachtet worden waren, weil sie Christen waren. Diese Gläubigen haben aufgrund der Kraft, die ihnen der Heilige Geist gegeben hat, keinen Anstoß genommen. Sie starben mit dem Namen Jesu auf den Lippen. Das ist die Kraft des Heiligen Geistes. Das Zeugnis. Es ist wahr, gerade das ist das Martyrium, das höchste Zeugnis«.
Es gebe auch »das Zeugnis aller Tage, das Zeugnis, das die Fruchtbarkeit von Ostern gegenwärtig werden lässt – worum wir zu Beginn der Messe gebetet haben –, jene Fruchtbarkeit, die uns der Heilige Geist schenkt, der uns zur vollen Wahrheit, zur ganzen Wahrheit führt und uns das in Erinnerung ruft, was Jesus sagt«. Aus diesem Grund, betonte Franziskus, »hat ein Christ, der diese Dimension des Martyriums seines Lebens nicht ernst nimmt, den Weg noch nicht begriffen, den Jesus uns gelehrt hat: Weg des alltäglichen Martyriums. Weg des Martyriums bei der Verteidigung der Rechte der Menschen. Weg des Martyriums bei der Verteidigung der Kinder: Väter, Mütter, die ihre Familie verteidigen. Weg des Martyriums vieler, vieler Kranker, die aus Liebe zu Jesus leiden. Wir alle haben die Möglichkeit, diese österliche Fruchtbarkeit auf diesem Weg des Martyriums voranzubringen, ohne Anstoß zu nehmen«.
Die Feier der Eucharistie fortsetzend – »Gedächtnis des Kreuzes«, in dem »die österliche Fruchtbarkeit sichtbar wird« – bat der Papst »den Herrn um die Gnade, den Heiligen Geist zu empfangen, der uns an die Dinge Jesu erinnern wird, der uns zur vollen und ganzen Wahrheit führen und uns jeden Tag vorbereiten wird, dieses Zeugnis abzulegen, dieses kleine Martyrium aller Tage oder ein großes Martyrium, nach dem Willen des Herrn«.
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