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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Wir sind Teil der Geschichte

 Donnerstag, 18. Dezember 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 1/2, 9. Januar 2015

 

In den unvermeidlichen »schlimmen Augenblicken« des Lebens muss man die Probleme »mutig auf sich nehmen«, indem man sich Gottes Händen anvertraut, der die Geschichte auch durch uns schreibt und der sie korrigiert, wenn wir nicht verstehen und Fehler machen. So lautete die Anregung, die Papst Franziskus im Lauf der Messe gab, die er am Donnerstag, 18. Dezember, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte.

»Gestern«, so bemerkte der Papst am Anfang seiner Predigt, »hat uns die Liturgie dazu angeregt, über den Stammbaum Jesu nachzudenken.« Und zusammen mit der heutigen Lesung aus  dem Matthäusevangelium (1, 18-24) komme diese Reflexion an ihr Ende, »um uns zu sagen, dass das Heil in der Geschichte immer präsent ist: es gibt keine Erlösung ohne die Geschichte«. Tatsächlich, so erläuterte er, »geht, um an den heutigen Punkt zu gelangen, eine lange, eine sehr lange Geschichte voraus, die die Kirche uns gestern symbolisch in der Lektüre des Stammbaums Jesu hat vermitteln wollen: Gott wollte uns in der Geschichte erretten.«

»Unser Heil, das, was Gott für uns gewollt hat, ist keine aseptische, unpersönliche Erlösung aus dem Labor«, sondern »findet in der Geschichte statt«. Und Gott, so bekräftigte Franziskus, »ist in der Geschichte den Weg mit seinem Volk gegangen.« Bereits die erste Lesung aus dem Propheten Jeremia (23,5-8) »sagt etwas sehr Schönes über die Etappen dieser Geschichte«, so bemerkte der Papst, der diese Worte der Schrift wiederholte: »Es werden Tage kommen, da sagt man nicht mehr: ›So wahr der Herr lebt, der die Söhne Israels aus Ägypten heraufgeführt hat!‹, sondern vielmehr: So wahr der Herr lebt, der das Geschlecht des Hauses Israel aus dem Nordland und aus allen Ländern, in die er sie verstoßen hatte, heraufgeführt und zurückgebracht hat.‹«

»Ein weiterer Schritt, eine weitere Etappe«, so erläuterte Franziskus. So »wird Schritt für Schritt die Geschichte gemacht: Gott macht die Geschichte, auch wir machen die Geschichte.« Und »wenn wir Fehler machen, dann korrigiert Gott die Geschichte und bringt uns weiter, weiter voran, wobei er stets mit uns geht.« Im Übrigen »können wir, wenn uns das nicht ganz klar ist, niemals wirklich Weihnachten verstehen, dann werden wir auch niemals das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes verstehen, niemals.« Denn »alles ist ein Geschichtsprozess«, so betonte der Papst, »der mit Sicherheit nicht mit Weihnachten abgeschlossen wurde«, denn »auch jetzt rettet uns der Herr innerhalb der Geschichte und geht mit seinem Volk.«

Eben dazu dienten also »die Sakramente, das Gebet, die Predigt, die Erstverkündigung: um in dieser Geschichte weiterzugehen.« Hierzu seien »auch die Sünden« erforderlich, »denn in der Geschichte Israels herrschte kein Mangel an ihnen«: in Jesu eigenem Stammbaum »gab es sehr große Sünder«. Und doch »geht Jesus weiter. Gott geht weiter, trotz unserer Sünden.«

Gleichwohl habe es im Lauf dieser Geschichte »auch einige schlimme Momente« gegeben, so erinnerte Franziskus: »schlimme Augenblicke, dunkle Augenblicke, unbequeme Augenblicke, Augenblicke, die stören«, gerade »für die Erwählten, für jene Menschen, die Gott auserwählt, um Geschichte zu machen, um seinem Volk dabei zu helfen, voranzugehen.« Der Papst erinnerte vor allem an »Abraham, der neunzig Jahre alt war und friedlich mit seiner Frau lebte: er hatte keinen Sohn, aber eine schöne Familie.« Aber »eines Tages stört ihn der Herr« und weist ihn an, seine Heimat zu verlassen und sich auf den Weg zu machen.

Abraham »ist neunzig Jahre alt« und für ihn habe das mit Sicherheit »einen lästigen Augenblick « dargestellt. Ebenso sei es aber auch Mose ergangen »nach der Flucht aus Ägypten: er hat geheiratet, und sein Schwiegervater hatte diese riesengroße Herde, und er war der Hirte dieser Herde.« Er war achtzig Jahre alt und »dachte an seine Kinder, an das Erbe, das er hinterlassen wollte, an seine Frau.« Und da habe ihm der Herr befohlen, nach Ägypten zurückzukehren und sein Volk zu befreien. Aber »in diesem Augenblick war es für ihn bequem, dort zu leben, im Lande Maidan. Aber der Herr stört ihn«, und die Frage, die Mose stellt, bringt nichts: »Aber wer bin ich denn, das ich das tun soll?«

Also, so bekräftigte Franziskus, »stört uns der Herr, um Geschichte zu schreiben, er lässt uns über viele Straßen gehen, die wir nicht einschlagen wollen.« Und so erinnerte er auch an die Geschichte des Propheten Elija: »Der Herr drängt ihn dazu, alle falschen Propheten des Balaam zu erschlagen, und dann, als ihn die Königin bedroht, fürchtet er sich vor einer Frau«; aber »dieser Mann, der vierhundert Propheten erschlagen hatte, fürchtet sich vor einer Frau und würde am liebsten vor Angst sterben, er möchte nicht mehr weitergehen.« Das sei wirklich »ein schlimmer Augenblick« für ihn gewesen.

Im Matthäusevangelium, so fuhr der Papst fort, »haben wir von einem weiteren schlimmen Augenblick der Heilsgeschichte erfahren: es gibt derer viele, aber befassen wir uns mit dem heutigen. « Im Mittelpunkt stehe »Josef, ein verlobter Mann: er sehnte sich sehr nach seiner Verlobten, und sie war zu ihrer Cousine gegangen, um ihr zu helfen; und als sie zurückkommt, da sind die ersten Spuren einer Schwangerschaft sichtbar.« Josef »leidet, er sieht die Frauen aus dem Dorf, die auf dem Marktplatz darüber tratschten.« Und als er so gelitten habe, habe er zu sich selbst über Maria gesagt: »Diese Frau ist gut, ich kenne sie! Sie ist eine Frau Gottes. Aber was hat sie mir angetan? Es ist unmöglich! Aber ich muss sie anklagen, und dann wird sie gesteinigt. Man wird alles erdenkliche Schlechte über sie sagen. Aber ich kann ihr diese Bürde nicht aufladen, wegen etwas, das ich nicht verstehe, denn sie ist absolut außerstande, untreu zu sein.«

Also habe Josef beschlossen, »sich selbst dieses Problem aufzubürden und wegzugehen.« Und »so werden die ›Klatschbasen‹ vom Marktplatz sagen: da schaut her, jetzt ist sie schwanger, und er ist dann abgehauen, um sich vor der Verantwortung zu drücken!« Josef dagegen »zog es vor, als ein Sünder dazustehen, als ein schlechter Mann, damit keine Schande auf seine Verlobte käme, die er sehr liebte«, auch wenn »er nicht verstand.«

Abraham, Mose, Elija, Josef: in ihren »schlimmen Augenblicken«, so bekräftigte Franziskus, »müssen die Erwählten, diese Auserwählten, die Gott dazu bestimmt hat, Geschichte zu schreiben, das Problem auf ihre Schultern nehmen, ohne selbst zu verstehen.« Und der Papst kam wieder auf die Geschichte des Mose zurück, »als er am Strand das Heer des Pharao heranziehen sah: auf der einen Seite das Heer, auf der anderen das Meer.« Er dürfte sich gesagt haben: »Was tu ich nur? Du hast mich getäuscht, Herr!« Aber dann habe er sich des Problems angenommen und habe gesagt: »Entweder ich kehre um und verhandle, oder ich kämpfe, werde aber unterliegen, oder ich bringe mich um – oder ich vertraue dem Herrn.« Angesichts dieser Alternativen habe Mose »letztere gewählt«, und »der Herr schreibt Geschichte« durch ihn. Das »sind gerade solche Augenblicke, wie der Hals eines Trichters«, so betonte der Papst.

Darauf erinnerte der Papst an die Geschichte jenes anderen Josef, »des Sohnes Jakobs: Seine  Brüder wollten ihn aus Neid töten, dann haben sie ihn verkauft, er wurde ein Sklave.« Indem der  Papst knapp seine Geschichte Revue passieren ließ, betonte er, wie sehr Josef litt, der auch »einige Probleme mit der Frau des Verwalters« hatte, »der die Frau aber nicht beschuldigt. Er ist ein edler  Mann: es würde den armen Verwalter nämlich am Boden zerstören, wenn er wüsste, dass seine Frau untreu ist!« Also »hält er den Mund, halst sich das Problem auf und geht in den Kerker.« Aber »der Herr geht hin, um ihn zu befreien.«

Indem er wieder aufs Evangelium zurückkam, betonte der Papst erneut, dass »Josef sich im schlimmsten Augenblick seines Lebens, im dunkelsten Augenblick, das Problem aufbürdet«. Er gehe so weit, »sich selbst in den Augen der anderen« anzuklagen, »um seine Braut zu schützen.«  Und »vielleicht«, so merkte der Papst an, »sagt vielleicht dieser oder jener Psychiater, dass dieses Verhalten ein Kondensat seiner Angst« sei, auf der Suche »nach einem Ausweg«. Aber, so fügte er hinzu, »sie können sagen, was sie wollen!« In Wirklichkeit habe Josef schließlich seine Braut zu sich genommen und dabei gesagt: »Ich verstehe rein gar nichts, aber der Herr hat mir dieses und jenes gesagt, und das Kind wird als mein Sohn gelten!«

Daher »heißt Geschichte zu schreiben für Gott, dass er mit seinem Volk geht und seine Erwählten auf die Probe stellt.« In der Tat »müssen seine Erwählten im Allgemeinen dunkle, schmerzliche, schlimme Augenblicke durchleiden, wie diese hier, von denen die Rede war«; aber »schließlich kommt immer der Herr.« Das Evangelium, so erinnerte der Papst, berichtet uns, dass er »den Engel schickt.« Und »das ist – sagen wir nicht: das Ende, denn die Geschichte geht weiter – genau der Augenblick vorher: vor der Geburt Jesu ist es eine Geschichte; und nachher beginnt eine andere Geschichte.«

Gerade im Lichte dieser Überlegungen empfahl Franziskus: »Denken wir immer daran, immer vertrauensvoll zu sagen, auch in den schlimmsten Augenblicken, in Momenten der Krankheit, wenn wir feststellen, dass wir um die Krankensalbung bitten müssen, weil es keinen Ausweg mehr gibt: ›Herr, die Geschichte hat nicht mit mir begonnen, noch wird sie mit mir enden. Du gehst weiter, ich bin bereit.‹« Und auf diese Weise vertraut man sich »den Händen des Herrn an‹.

Das sei die Einstellung, die Abraham, Mose, Elija, Josef und alle anderen Erwählten aus dem Volk Gottes gezeigt hätten: »Gott geht mit uns, Gott macht die Geschichte, Gott stellt uns auf die Probe, Gott rettet uns in den schlimmsten Augenblicken, weil er unser Vater ist.« Ja, »Paulus zufolge ist er unser Vater.« Franziskus schloss mit dem Gebet darum, »dass der Herr uns dieses Geheimnis verstehen lassen möge, dass er mit seinem Volk in der Geschichte geht, das Geheimnis, dass er seine Auserwählten auf die Probe stellt und das der Großherzigkeit seiner Auserwählten, die die Schmerzen, die Probleme, und auch den äußeren Anschein, Sünder zu sein, auf sich nehmen – denken wir an Jesus! –, um die Geschichte voranzubringen.«

 



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