PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Herzen voller Finsternis
Montag, 15. Dezember 2014
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 1/2, 9. Januar 2015
»Ich bitte den Herrn um die Gnade, dass wir ein einfaches Herz haben mögen, das durch die Wahrheit, die er uns schenkt, leuchten möge, und dass wir dadurch liebenswerte Menschen sein können, die zu vergeben verstehen, die Verständnis für die anderen aufbringen, die den Menschen gegenüber großherzig und barmherzig sind.« So lautete das Gebet, mit dem Papst Franziskus am Montag, 15. Dezember, in der Frühmesse in Santa Marta seine Predigt abschloss.
»Niemals«, so fügte er hinzu, »sollen wir über andere urteilen. Wenn du jemanden verurteilen willst, dann verurteile dich selber. Aber geh niemals hin und hinke auf zwei Beinen gleichzeitig, wie Elija sagt, um zu versuchen, einen Vorteil aus den Umständen zu ziehen.« Im Gegenteil, man müsse »den Herrn um die Gnade bitten, dass er uns dieses innere Licht schenke und dass er in uns die Überzeugung wachsen lasse, dass er allein der Fels ist, und nicht die unsere vielerlei Geschichten, die wir für das Wichtigste halten; und dass er uns auf unserem Weg begleiten möge, dass er unser Herz weit machen möge, damit die Probleme vieler Menschen darin Platz finden, und dass er uns die Gnade zuteil werden lasse, zu spüren, dass wir Sünder sind.«
Ausgangspunkt der Predigt waren wieder die Lesungen vom Tag, vor allem der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (21,23-27), wo Jesus sich mit denjenigen auseinanderzusetzen hat, die meinen, den spontanen Glauben der Menschen durch Formalismen und oft unnütze Normen regulieren zu müssen. In diesem Zusammenhang erinnerte der Papst daran, dass einige Schriftgelehrte bereits am Palmsonntag, als »Jesus in Jerusalem einzog«, »die Kinder, die ›Hosanna dem Sohn Davids‹ sangen, zum Schweigen bringen wollten«. Aber Jesus habe gesagt: »Sie können nicht schweigen, ›wenn sie schweigen, werden die Steine schreien‹.« Darauf »heilte der Herr viele kranke Menschen«, und als er Hunger bekommen habe und sich einem Feigenbaum genähert habe, der keine Frucht getragen habe, habe er den Baum verflucht: »In Ewigkeit soll keine Frucht mehr an dir wachsen!« »Der Feigenbaum verdorrte auf der Stelle«, so dass die Jünger angemerkt hätten: »Du hast ein Wunder getan!« Und er habe geantwortet: »Wenn ihr Glauben habt, dann werdet ihr dasselbe tun und noch mehr!« Franziskus machte darauf aufmerksam, dass Jesus »über das Thema des Glaubens predigt. Darauf kehrt er in den Tempel zurück, heilt zahlreiche Menschen, sehr viele Kranke und verjagt diese Leute, die da Geschäfte machten, die Dinge verkauften, die Geld wechselten.« Und an diesem Punkt geschehe es, dass die »Hohenpriester und die Schriftgelehrten«, die dem beigewohnt hätten, »etwas Mut fassten und sich ihm näherten«, um ihn zu fragen: »Mit welchem Recht tust du das? Wir sind diejenigen, die hier im Tempel das Sagen haben.« Und darauf sei die Antwort Jesus erfolgt, die mitten im Abschnitt aus dem Matthäusevangelium stehe. Eine Antwort, die er »mit großer innerer Energie, mit sehr viel Scharfsinn« gegeben habe, denn, so betonte der Papst, »Jesus zielt mit seiner Antwort direkt auf das Herz dieser Menschen, Herzen, die sich immer an die Gegebenheiten anpassten, Herzen, die je nach den Umständen zur einen oder zur anderen Seite hin neigten.«
Manch einer würde sie als »diplomatische Herzen« einstufen, aber für den Papst handelt es sich dabei um eine falsche Definition, »weil die Diplomatie ein edler Beruf ist, ein Beruf, der dazu dient, die Völker einander anzunähern, ein Beruf, der dazu dient, Frieden zu stiften«; während »diese Leute das nicht taten«, ja, sie hätten vielmehr »heuchlerische Herzen« gehabt. In der Tat »interessierten sie sich nicht für die Wahrheit; sie interessierte nur ihr eigener Vorteil, je nachdem, wie der Wind sich drehte: ›Es ist günstig für uns, hierhin zu gehen, oder es ist günstiger, dorthin zu gehen…‹ Sie waren wie Wetterfahnen, sie alle.«
Sie hätten »Herzen gehabt, die keine Substanz hatten. Und sie feilschten um alles: die innere Freiheit, den Glauben, das Vaterland. Alles, bis auf den äußeren Schein. Es war ihnen wichtig, sich gut aus der Lage zu ziehen; sie waren ›Konjunkturalisten‹, Männer, die sich an die Konjunktur anpassten: ›Wenn der Wind von dort bläst, dann gehen wir da lang.‹ So war ihr Herz: Sie nützten die Umstände aus.« Das, was in dieser biblischen Szene beschrieben werde, so erläuterte Papst Franziskus, sei gerade eine dieser Situationen, die sie zu ihren Gunsten hätten nützen wollen. »Sie haben in diesem Augenblick eine Schwäche gesehen«, vielleicht »haben sie es sich eingebildet«, und so hätten sie sich gesagt: »Das ist der richtige Augenblick.« Das sei der Grund für ihre Frage: »Mit welchem Recht tust du das alles? Wer hat dir dazu die Vollmacht gegeben?« Es sei offenkundig, dass »sie sich in der stärkeren Position fühlten«. Aber die Reaktion Jesu verunsichert sie erneut. Er »diskutiert nicht mit ihnen« und beschwichtigt sie: »Ja, ja, ich werde es euch sagen, aber sagt ihr mir zuerst dies« und bezieht sich dabei auf Johannes den Täufer. So antworte Jesus auf eine Frage mit einer Gegenfrage, »und damit schwäche er seine Gesprächspartner so sehr, dass »sie nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen«.
Hier liege die Verbindung zum Tagesgebet am Beginn der Messfeier, das die Bitte enthalte, »die Finsternis unseres Herzens zu erleuchten«. Tatsächlich hätten diese Menschen, von denen in der Lesung die Rede sei, »sehr viel Finsternis in ihren Herzen gehabt«. Gewiss, »sie befolgten das Gesetz: Samstags gingen sie nie weiter als hundert Meter, und sie setzten sich niemals zu Tisch, ohne sich zuvor die Hände zu waschen und die Waschungen zu vollziehen«. Sie seien sehr »gesetzestreu « gewesen: »sie waren sich ihrer Gepflogenheiten absolut sicher.« Aber, so betonte der Papst, »das stimmt nur für den äußeren Schein. Sie waren stark, aber nur äußerlich. Sie trugen eine Art von Gipskorsett. Ihr Herz war äußerst schwach, sie wussten nicht, woran sie glaubten. Und deshalb war ihr Leben – der äußerlich sichtbare Teil – rundum geregelt. Aber ihr Herz schwankte zwischen einer Seite und der anderen: ein schwaches Herz und eine starke, harte, in ein Gipskorsett verpackte Haut.« Jesus hingegen »lehrt uns, dass der Christ ein starkes, festes Herz haben soll, das auf dem Felsen wächst, der Christus ist, und dann voller Klugheit vorangehen soll.« In der Tat, so fuhr der Papst fort, »kann man nicht über das Herz feilschen, man feilscht nicht über den Felsen. Der Fels ist Christus, man feilscht nicht über ihn! Das ist die Tragödie der Heuchelei dieser Leute. Und Jesus feilschte niemals über sein Herz als Sohn des Vaters, aber er war offen für die Menschen, er suchte nach Wegen, ihnen zu helfen.«
An diesem Punkt verwies Franziskus auf eine persönliche Erinnerung aus seiner Jugendzeit: »Als Papst Pius XII.«, so erläuterte er, »uns von diesem so schweren Kreuz befreite, das im Fasten vor dem Empfang der Eucharistie bestand. Man durfte noch nicht einmal einen Tropfen Wasser trinken. Und beim Zähneputzen musste man aufpassen, dass man kein Wasser schluckte.« Der Bischof von Rom gestand: »Ich selber bin als Kind beichten gegangen, um zu sagen, dass ich zur Kommunion gegangen war, weil ich davon überzeugt war, einen Tropfen Wasser verschluckt zu haben.« Als Papst Pacelli »die Disziplin geändert hat – ›Ach, welch eine Häresie! Er hat an die Disziplin der Kirche gerührt!‹ –, da waren viele Pharisäer sehr schockiert. Sehr viele. Weil Pius XII. das getan hatte, was Christus getan hätte: Er sah die Bedürfnisse der Menschen: ›Ach, die armen Menschen, bei dieser Hitze!‹ Diese Priester, die drei heilige Messen zelebrierten, die letzte gegen ein Uhr, nach der Mittagsstunde, und die bis dahin fasten mussten. Und diese Pharisäer waren so stur – ›unsere Disziplin!‹ – in ihrer Haut, aber, wie Jesus sagt, ›verwest im Herzen‹, schwach bis zur Verwesung. Mit Finsternis im Herzen.«
Das sei »das Drama dieser Leute«, das Jesus anprangere. »Heuchler, ihr hängt eure Fahne nach dem Wind, je nach Gelegenheit, um Vorteil daraus zu ziehen.« Und »auch unser Leben kann so werden«, mahnte Papst Franziskus, der gestand: »Manchmal, wenn ich so einen Christen, so eine Christin gesehen habe, mit einem schwachen, unsteten Herzen, die nicht fest auf dem Felsen gründeten und die äußerlich sehr steif waren, habe ich den Herrn gebeten: Werfe ihnen eine Bananenschale vor die Füße, damit sie einen schönen Rutscher tun, sich schämen, Sünder zu sein und dadurch dann dir begegnen, dem Erlöser. « Im Übrigen »schämen wir uns sehr oft über eine Sünde«, und sie bringe uns dann dazu, »dem Herrn zu begegnen, der uns vergibt«.
In diesem Zusammenhang zitierte der Papst das Buch der Weisheit, das sage: »Wie geheimnisvoll ist doch das Herz des Menschen, wer kann es je kennen?« Deshalb, so schloss er, »haben wir den Herrn heute darum gebeten«, »die Finsternis unseres Herzens« zu erhellen, »damit unser Herz fest sei im Glauben«. Gerade so wie jenes der »einfachen Leute«, die in dieser Szene des Evangeliums anwesend gewesen seien: Menschen, »die sich nicht täuschten, weil die Schriftgelehrten wussten, dass sie nicht sagen konnten: ›Nein, die Taufe des Johannes kommt nicht vom Himmel!‹, weil die Menschen es wussten, sie hatten dieses Gespür für den Glauben, das vom Himmel kam.«
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