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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Angst vor Überraschungen

 Donnerstag, 20. November 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 50, 12. Dezember 2014

 

Auch heutzutage weint Jesus »oftmals« über seine Kirche, gerade so, wie er es tat, als er die verschlossenen Tore Jerusalems sah. Bei der Feier der Morgenmesse am Donnerstag, 20. November, in Santa Marta, zitierte Papst Franziskus das Evangelium zum Tage, das dem 19. Kapitel des   Lukasevangeliums (41-44) entnommen war, um daran zu erinnern, dass die Christen dem Herrn nach wie vor aus Angst vor den »Überraschungen «, die er ihnen bereiten könnte und die ihre gefestigten Gewissheiten und Überzeugungen ins Wanken bringen könnten, ihre Tore verschließen. In Wirklichkeit, so erläuterte er, »fürchten wir uns vor der Bekehrung, denn sich bekehren bedeutet, dass man zulässt, dass uns der Herr führt.«

Die Meditation des Papstes ging gerade von diesem Bild Jesu aus, der vor den Toren Jerusalems in Tränen ausbricht. Er »weinte, als er die Stadt sah: er weinte, als er sah, dass sie geschlossen war. Gerade die Tatsache, dass die Stadt ihre Tore verschloss, als sie ihn empfangen sollte, ist der Grund für die Tränen Jesu«, gerade so wie die Schließung der Buchrolle, »die mit sieben Siegeln versiegelt« war, den Apostel Johannes im Text der Offenbarung (5,1-10) zum Weinen brachte, der Gegenstand der ersten Lesung gewesen war, so betonte Franziskus. »Diese Verschlossenheit«, so hob der Papst hervor, »bringt Jesus zum Weinen; die Verschlossenheit des Herzens seiner Auserwählten, der auserwählten Stadt, des auserwählten Volkes«, das »keine Zeit dazu hatte, ihm die Tore zu öffnen «, weil »es zu viel zu tun hatte, weil es allzu selbstzufrieden war.« Und auch heute noch »klopft Jesus weiterhin an die Türen, so wie er an die Tore des Herzens von Jerusalem geklopft hat: an die Türen seiner Brüder, seiner Schwestern; an unsere Türen, an die Tore unseres Herzens, an die Tore seiner Kirche.« In Wirklichkeit, so erläuterte der Papst, »fühlte sich Jerusalem zufrieden, beruhigt über sein Leben, und es bedurfte des Herrn« und seines Heils nicht. Deshalb habe es »dem Herrn sein Herz verschlossen. Und der Herr weint vor Jerusalem. Gerade so, wie er auch vor dem geschlossenen Grab seines Freundes Lazarus weinte. Jerusalem war tot.«

Die Tränen Jesu »über seine auserwählte Stadt« seien zugleich auch Tränen »über seine Kirche « und »über uns«. Warum aber, so fragte sich der Papst, »hatte Jerusalem den Herrn nicht empfangen? Weil es ruhig und zufrieden war mit dem, was es hatte, es wollte keine Probleme.« Das sei der Grund dafür, dass Jesus vor den Toren der Stadt ausgerufen habe: »Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt.« In der Tat habe die Stadt »Angst vor einem Besuch des Herrn gehabt; sie hatte Angst vor der Unentgeltlichkeit des Besuchs des Herrn. Es war sich der Dinge sicher, die es meistern konnte. Und davor hatte Jerusalem Angst: auf dem Weg der Überraschungen des Herrn gerettet zu werden. Es hatte Angst vor dem Herrn, seinem Bräutigam, seinem Liebsten.« Denn »wenn der Herr sein Volk besucht, dann bringt er uns Freude, er bringt uns die Umkehr. Und wir alle haben Angst«: nicht »vor der Heiterkeit«, so präzisierte der Papst, sondern vielmehr »vor der Freude, die der Herr bringt, denn wir haben keine Kontrolle über sie.«

Der Papst erinnerte in diesem Kontext an die »Klagelieder«, die der Chor am Karfreitag während der Liturgie der Kreuzanbetung singt: »Weh, wie einsam sitzt da die einst so volkreiche Stadt. Einer Witwe gleich die Große unter den Völkern. Die Fürstin über die Länder ist zur Fron erniedrigt.« Und er zitierte den Dialog des Herrn mit der Stadt – »Aber was habe ich dir getan, dass du so antwortest?« –, um zu betonen, dass »der Preis dieser Ablehnung« das Kreuz sei: es sei »der Preis dafür, dass uns die Liebe Jesu gezeigt wird, das, was ihn zum Weinen gebracht hat, das ihn auch heute noch, sehr oft, dazu bringt, über seine Kirche zu weinen.« In der Tat sei Jerusalem zu jener Zeit »ruhig und zufrieden gewesen; der Tempel funktionierte. Die Priester brachten Opfer dar, das Volk kam auf Pilgerfahrt her, die Schriftgelehrten hatten alles geordnet«: es sei »alles klar gewesen, alle Gebote waren klar.« Dessen ungeachtet, so merkte der Papst an, habe es aber »verschlossene Tore gehabt«. Aus diesem Grunde lud er dazu ein, eine Gewissensprüfung vorzunehmen, die mit dieser Frage beginnen sollte: »Sind wir heutige Christen, die den Katechismus kennen, die jeden Sonntag zur Messe gehen, wir Christen, wir Priester mit uns selbst zufrieden?«

Die Gefahr bestehe darin, bereits zufrieden zu sein, weil »wir alles geordnet haben und keiner weiteren Besuche des Herrn bedürfen.« Jesus aber, so präzisierte der Papst, »klopft auch weiterhin an unsere Tür, an die jedes Einzelnen von uns wie auch an die seiner Kirche, an die der Hirten der Kirche.« Und wenn »die Tür unseres Herzens, der Kirche, der Hirten sich nicht auftut, dann weint der Herr auch heute«, gerade so wie er es vor Jerusalem, »der einsamen, einst so volkreichen Stadt, die jetzt einer Witwe gleicht«, getan habe. Jesus schaue auf die Stadt und »weint, weil sie die Tore nicht öffnet, weil sie Angst hat vor seinen Überraschungen, weil sie allzu selbstzufrieden ist.« Darauf bezog sich Franziskus’ abschließende Aufforderung: »Denken wir an uns: Wie stehen wir in diesem Augenblick vor Gott?«

 



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