PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Wahrheit und äußerer Schein
Dienstag, 14. Oktober 2014
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 43, 23. Oktober 2014
»Jesus verurteilt Menschen mit guten Manieren, die aber schlechte Gewohnheiten haben.« Denn es sei eines, »gut und schön zu erscheinen«, ein anderes aber die innere Wahrheit. Analog dazu nütze es nichts, sich ausschließlich an den Buchstaben des Gesetzes zu klammern, denn »das Gesetz allein rettet nicht. Das Gesetz rettet dann, wenn es dich zum Quell des Heils führt.« Papst Franziskus forderte in der Frühmesse, die er am 14. Oktober, in der Kapelle von Santa Marta feierte, alle zu einer »Gewissensprüfung über die eigene Art des Glaubens auf«.
In seinen Ausführungen zum Tagesevangelium (Lukas 11,37-41) erläuterte der Papst das Verhalten Jesu dem Pharisäer gegenüber, der an der Tatsache Anstoß nahm, dass der Herr vor dem Essen nicht die rituellen Waschungen vorgenommen hatte. Die Antwort Christi sei streng ausgefallen: »Ihr legt zwar großen Wert auf die Äußerlichkeit, auf den Anschein, euer Inneres aber ist voller Raubgier und Bosheit.« Dies seien Worte, die mit der Parallelstelle bei Matthäus übereinstimmten, wo von »Schmutz und Verwesung « die Rede ist sei und die Pharisäer mit »weiß angestrichenen Gräbern« verglichen werden, die »innen aber voll Knochen, Schmutz und Verwesung « seien. Der Papst betonte, dass Jesus entschieden die Gewissheit brandmarke, mit der die Pharisäer »auf die Erfüllung des Gesetzes« vertrauten und »diese kosmetische Spiritualität« verurteile.
Dies beziehe sich auf Leute, »denen es gefiel, auf den Plätzen einherzugehen«, sich beim Beten sehen zu lassen und sich mit den Zeichen des Fastens zu schminken. »Warum verhält sich der Herr so?«, fragte sich Franziskus, wobei er betonte, dass sich das Evangelium für die Verhaltensweise der Pharisäer zweier Worte bediene, die zwar untereinander verschieden, aber doch miteinander verbunden seien: »Raubgier und Bosheit«. Und er erläuterte, dass diese Bosheit »eng mit dem Geld zusammenhängt«. Im Übrigen, so sagte der Papst, indem er eine kurze Anekdote einfließen ließ, »habe ich einmal einen alten Exerzitienprediger gehört, der sagte: ›Aber, wie stellt es die Sünde an, in die Seele einzudringen? Nun, das ist ganz einfach: durch die Taschen…‹« Im Grunde sei gerade das Geld »die Türe«, durch die die Verderbnis in das Herz Einzug halte. Daher verstehe man den Grund, warum Jesus sage: »Gebt lieber das, was in euch ist, den Armen.«
»Das Almosen«, so erläuterte Franziskus, »ist in der biblischen Tradition, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, stets ein Prüfstein für die Gerechtigkeit gewesen. Ein gerechter Mann, eine gerechte Frau wurde immer mit dem Almosen in Verbindung gebracht«: denn im Almosen teile man das, was man habe, mit den anderen, man gebe das, was jeder »in sich hat«. Damit kehre das Thema des äußeren Scheins und der inneren Wahrheit wieder. Die Pharisäer, von denen Jesus spreche, »hielten sich für gut, weil sie all das erfüllten, was das Gesetz zu tun gebot«. Aber das Gesetz »allein rettet noch nicht«. Das Gesetz rette dann, »wenn es dich zum Quell des Heils führt, wenn es dein Herz darauf vorbereitet, das wahre Heil zu empfangen, das aus dem Glauben kommt«.
Der Papst stellte klar, dass dies dieselbe Vorstellung sei, wie man sie in der ersten Schriftlesung aus dem Galaterbrief (5,1-6) finde. Dort diskutierte der heilige Paulus mit den Galatern, »die sehr am Gesetz hingen«, darüber, warum diese »Angst vor dem Glauben hatten und zu den Vorschriften des Gesetzes zurückgekehrt waren«, die die Beschneidung betrafen. Worte, die auch gut zu unserer Alltagswirklichkeit passten, weil der Glaube, so betonte der Bischof von Rom, »nicht nur darin besteht, das Glaubensbekenntnis aufzusagen: Wir alle glauben an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, an das ewige Leben…« Aber wenn unser Glaube »unbeweglich« und »unwirksam« sei, dann »dient er zu nichts«.
Was in den Augen Jesu Christi Wert habe, sei demnach »der Glaube, der in der Liebe wirksam wird«. Und damit komme man auf das Thema des Almosens zurück. Almosen verstanden »im weitesten Sinn des Wortes«: »der Abkehr von der Diktatur des Geldes, der Vergötterung des Geldes «, weil »jede Form von Habsucht uns von Jesus Christus entfernt«. Deshalb sei in der ganzen Bibel häufig die Rede vom Almosen, »sowohl vom kleinen, alltäglichen Almosen« als auch vom »größeren«. Dabei sei allerdings zweierlei zu beachten: Wir dürften »es nicht vor uns herposaunen« lassen, wenn wir Almosen geben, und uns auch nicht darauf beschränken, bloß von unserem Überflüssigen zu geben. Man müsse sich »entäußern«, etwas »von sich weggeben« und nicht nur das geben, was übrig bleibt. Man müsse so handeln wie die arme Witwe, die »alles gegeben hat, was sie zum Leben hatte«.
Wer Almosen gebe und es vor sich »herposaunen« lasse, damit alle darüber Bescheid wüssten, »ist kein Christ«. Es sei vielmehr, so betonte Franziskus, eine »pharisäische, heuchlerische« Verhaltensweise. Und um dies besser verständlich zu machen, erzählte der Papst eine Begebenheit, die einmal P. Pedro Arrupe widerfahren sei, der von 1965 bis 1983 der Generaloberer der Jesuiten war. In seiner Zeit als Missionar in Japan habe er auf einer Reise, die er unternommen hatte, um Spenden für seine Mission zu sammeln, die Einladung einer großen Dame erhalten, die etwas spenden wollte. Diese Dame habe ihn nicht privat empfangen, sondern ihm den Spendenumschlag vor »Journalisten, die Fotos machten «, gegeben. So habe sie dies »hinausposaunen lassen.«
P. Arrupe habe erzählt, dass er da »eine große Demütigung erlitten« habe und dass er sie nur zum Wohl der »Armen in Japan, für die Mission« ertragen habe. Als er nach Hause zurückgekehrt sei, habe er den Umschlag geöffnet und entdeckt, dass er »zehn Dollar enthalten« habe. Wenn sich das Herz nicht ändere, so kommentierte Papst Franziskus, dann zähle der Anschein rein gar nichts. Und er schloss seine Predigt mit den Worten: »Heute wird es uns guttun, darüber nachzudenken, wie mein Glaube geartet ist, wie mein christliches Leben geartet ist: Ist es ein christliches Leben voller Kosmetik und Schein oder ist es ein christliches Leben des Glaubens, der in der Liebe wirksam ist?« Ein jeder könne sich »vor Gott« einer Gewissensprüfung unterziehen. Und »es wird uns guttun, dies zu tun.«
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