PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die alten Frauen und der Theologe
Dienstag, 2. September 2014
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 37, 12. September 2014
Der Heilige Geist verleiht dem Christen seine »Identität«. Denn – so sagte Papst Franziskus in seiner Predigt am Dienstag, 2. September, in Santa Marta – »du kannst fünf Doktortitel in Theologie besitzen und doch nicht den Geist Gottes haben«. Und »du magst vielleicht ein großer Theologe sein, aber du bist kein Christ«, und zwar gerade deshalb, »weil du den Geist Gottes nicht hast«.
»So finden wir unter unseren Gläubigen oftmals ganz einfache alte Frauen«, bemerkte er, »die vielleicht noch nicht einmal die Grundschule zu Ende gebracht haben, die dir die Dinge aber besser erklären können als ein Theologe, weil sie den Geist Christi haben.« Und er verwies auf das Beispiel des heiligen Paulus, der für seine höchst wirkungsvollen Predigten keine besonderen akademischen Titel besaß. Paulus habe keine Seminare in »menschlicher Weisheit« an der Lateran-Universität oder an der Gregoriana besucht, aber er habe gesprochen, wie es ihm der Geist Gottes eingab.
Der Papst unterstrich anschließend, dass in dem in der Liturgie verlesenen Abschnitt aus dem Lukasevangelium (4,31-37) »zwei Mal« das Wort »Vollmacht« vorkomme. Die Menschen seien »sehr betroffen« gewesen von der Lehre Jesu, »denn er redete mit (göttlicher) Vollmacht«. Und der Evangelist berichte dann noch einmal, am Ende des Abschnitts, dass »alle erstaunt und erschrocken waren und einer den anderen fragte: Was ist das für ein Wort? Mit Vollmacht und Kraft befiehlt er.« Kurzum, so fuhr er fort, »die Menschen waren betroffen. Denn wenn Jesus sprach, wenn er predigte, verfügte er über eine Vollmacht, die den anderen Predigern fehlte, die den Schriftgelehrten fehlte, denen also, die das Volk belehrten.«
Die Frage, die man sich stellen müsse, laute: »Aber worum handelt es sich bei dieser Vollmacht Jesu, dieser Neuheit, die die Menschen in Erstaunen versetzte? Diese von derjenigen der Schriftgelehrten so verschiedene Art, zu sprechen, zu lehren?« Und die Antwort hierauf sei entscheidend. »Diese Vollmacht«, so erläuterte der Papst, »besteht gerade in der einzigartigen und besonderen Identität Jesu.« In der Tat »war Jesus kein gewöhnlicher Prediger; Jesus war nicht etwa einer, der das Gesetz so auslegte wie alle anderen: er tat dies auf eine andere Art, auf eine neue Art, denn er verfügte über die Kraft des Heiligen Geistes«.
Papst Franziskus erinnerte daran, dass »wir gestern in der Liturgie jenen Abschnitt gelesen haben, in dem Jesus kommt, seine Synagoge besucht und jenes Wort aus dem Propheten Jesaja über sich selbst sagt: ›Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich das tue.‹« Das bestätige, dass »die Vollmacht, über die Jesus verfügt, gerade von dieser besonderen Salbung durch den Heiligen Geist kommt: Jesus ist der Gesalbte, der erste Gesalbte, der wahre Gesalbte«. Und »diese Salbung verleiht Jesus Vollmacht«.
»Die wahre Identität Jesu besteht darin, der Gesalbte zu sein«, betonte der Papst. Er sei »der gesalbte Sohn Gottes und dazu gesandt, das Heil zu bringen, die Freiheit zu bringen«. Also »ist das die Identität Jesu, und deshalb sagte das Volk: ›Dieser Mann hat eine besondere Vollmacht, die den Schriftgelehrten fehlt, die uns lehren.‹« Aber, so fügte der Papst hinzu, »einige nahmen Anstoß an dieser Art und Weise Jesu, an diesem Stil Jesu«. Daher bestehe »die Freiheit, die Identität Jesu gerade in der Salbung durch den Heiligen Geist«. Und wir, so ermahnte Franziskus, können uns fragen, worin unsere »Identität als Christen besteht«. Im ersten Korintherbrief (2,10-16) erkläre der heilige Paulus das folgendermaßen: »Von diesen Dingen reden wir mit Worten, die nicht von menschlicher Weisheit eingegeben sind.« Der Papst betonte nochmals, dass »die Predigt des Paulus« nicht der »menschlichen Weisheit« entstamme, denn seine Worte seien ihm »vom Heiligen Geist eingegeben worden«. In der Tat habe er »mit der Salbung des Heiligen Geistes gepredigt, wobei er die spirituellen Dinge des Geistes in spirituellen Begriffen ausgedrückt« habe.
Allerdings, so warnte Franziskus, wobei er sich der Formulierung des heiligen Paulus bediente, »kann der Mensch aus eigener Kraft die Dinge des Geistes Gottes nicht verstehen; allein kann der Mensch das nicht verstehen«. Daher »geben wir kein Zeugnis und haben wir keine Identität, solange wir Christen die Dinge des Heiligen Geistes nicht gut verstehen«. Und letztendlich schienen »diese Dinge des Geistes« bloße »Torheit« zu sein, weshalb Menschen ohne Identität »nicht dazu imstande sind, sie zu verstehen«.
Erneut auf den Brief des heiligen Paulus Bezug nehmend, sagte der Papst, dass »hingegen der vom Geist bewegte Mensch alles beurteilt: er ist frei, ohne seinerseits von irgend jemandem beurteilt werden zu können«. Denn, so fügte er hinzu, wobei er weiter die Worte des Apostels zitierte, »wer hat je das Denken des Herrn erkannt? Nun haben wir das Denken Christi, das heißt den Geist Christi.« Und in der Tat sei »das die Identität des Christen: Nicht den Geist der Welt haben, jene Art zu denken, jene Art, zu urteilen.« Letztendlich sei »es der Heilige Geist, der Vollmacht verleiht, der Identität verleiht: die Salbung durch den Heiligen Geist«. Aus diesem Grund, so der Papst, »liebte das Volk diese Prediger nicht, diese Schriftgelehrten, denn sie sprachen in Wirklichkeit über Theologie, aber sie erreichten das Herz nicht. Sie gaben keine Freiheit. Sie waren außerstande, dem Volk zu helfen, damit es seine eigene Identität finden konnte, denn sie waren nicht vom Heiligen Geist gesalbt.« Hingegen »entspringt die Vollmacht Jesu – und die Vollmacht des Christen – gerade dieser Fähigkeit, die Dinge des Geistes zu verstehen, die Sprache des Geistes zu sprechen; sie kommt von dieser Salbung durch den Heiligen Geist.«
Papst Franziskus schloss mit der Bitte an den Herrn, uns »die christliche Identität« zu schenken. »Jene, die du selbst hattest: gib uns deinen Geist. Schenke uns deine Art zu denken, zu empfinden, zu sprechen. Das heißt: Herr, gewähre uns die Salbung durch den Heiligen Geist.«
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