PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Wer ohne Vollmacht spricht
Donnerstag, 26. Juni 2014
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 28, 8. Juli 2014
Die Menschen brauchen den »guten Hirten«, der Verständnis hat und die Herzen zu erreichen vermag – genau wie Jesus. Ihm sollen wir aus der Nähe nachfolgen, ohne uns von denen beeinflussen zu lassen, die »über abstrakte Dinge sprechen oder moralische Kasuistik betreiben«, noch von denen, die »ohne Glauben alles mit den politischen und wirtschaftlichen Mächten aushandeln «, von den »Revolutionären«, die »sogenannte Befreiungskriege« auf politischer Ebene führen wollen, noch von »Kontemplativen, die dem Volk fernstehen«.
Papst Franziskus warnte in der Messe, die er am Donnerstag, dem 26. Juni, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, vor diesen vier Haltungen. Vor allem betonte der Papst, wie groß die Zahl der Menschen gewesen sei, die Jesus nachfolgten: »Denken wir an den Tag der wunderbaren Brotvermehrung: Da waren über 5.000 Menschen anwesend«. Es waren Menschen, die Jesus aus der Nähe »auf den Straßen« nachfolgten. Und sie folgten ihm nach, so erläutere das Evangelium, »weil die Worte Jesu in ihrem Herzen Staunen auslösten: das Staunen darüber, etwas Gutes, Großartiges zu finden«. Jesus »lehrte sie in der Tat wie einer, der (göttliche) Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten«. Über dieses Staunen berichte der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (7,21-29), den die Liturgie unterbreite.
»Das Volk«, so betonte der Papst, »brauchte Lehrer, Prediger, Gelehrte, die göttliche Vollmacht haben«. Und jene, die »keine Vollmacht hatten«, sprachen zwar, aber ihre Worte erreichten das Volk nicht, »sie standen dem Volk fern«. Die Neuheit sei hingegen gewesen, dass »Jesus eine Sprache sprach, die die Herzen der Menschen erreichte, die eine Antwort auf ihre Fragen war«. Papst Franziskus sprach eben über »diese Schriftgelehrten, die in jener Zeit zum Volk sprachen«. Aber »ihre Botschaft erreichte das Herz des Volkes nicht, und das Volk hörte sie und ging weg«. Und er verwies auf vier Kategorien von ihnen.
Mit Sicherheit »war die bekannteste dieser Gruppen die der Pharisäer«, sagte er, wobei er allerdings betonte, dass »es auch gute Pharisäer gab«. Aber »wenn Jesus über die Pharisäer spricht, meint er die schlechten Pharisäer, nicht die guten«. Es waren Personen, die »den Gottesdienst, die Religion zu einer langen Kette von Geboten machten«: Aus zehn »machten sie über 300!« Kurz gesagt, »sie bürdeten dem Volk diese Last auf: ›Du musst das tun! Du musst!‹« Sie verkürzten den Glauben an den lebendigen Gott auf eine reine Kasuistik und verfielen so »in Widersprüche grausamster Kasuistik«. Seinerseits, so der Papst, habe »das Volk sie respektiert, da das Volk sehr respektvoll ist, aber es hörte nicht auf diese kasuistischen Prediger«.
Eine weitere Gruppe, fuhr der Papst fort, »war jene der Sadduzäer: Sie hatten keinen Glauben, sie hatten den Glauben verloren«. Und so »übten sie ihre religiöse Tätigkeit auf dem Weg der Absprachen mit den Mächtigen aus: mit den politischen Mächten, mit den wirtschaftlichen Mächten«. Kurz gesagt, »sie waren Männer der Macht und verhandelten mit allen«. Aber auch ihnen »folgte das Volk nicht«.
»Eine dritte Gruppe«, so erläuterte er weiter, »war die der Revolutionäre«, die in jener Zeit oft als Zeloten bezeichnet wurden. Es waren »jene, die die Revolution wollten, um das Volk Israel von der römischen Besatzung zu befreien«. So »gab es dort auch Partisanen«, aber »das Volk verfügt über einen gesunden Menschenverstand und versteht zu unterscheiden, wann die Frucht reif ist und wann sie es nicht ist«. Und deshalb »folgte es ihnen nicht«.
»Die vierte Gruppe« schließlich, sagte der Papst, bestand aus gutherzigen Menschen: den Essenern. »Sie waren Mönche«, so sagte er, »gute Menschen, die ihr Leben Gott weihten: Sie widmeten sich der Betrachtung und dem Gebet in den Klöstern«. Aber »sie standen dem Volk fern, und das Volk konnte ihnen nicht nachfolgen«.
Das also, fasste der Papst zusammen, »waren die Stimmen, die zum Volk gelangten «. Und doch »hatte keine dieser Stimmen die Kraft, das Herz des Volkes zu erwärmen«. Jesus hingegen gelang dies. Und daher »staunte die Menschenmenge: Sie hörte Jesus und ihr Herz wurde warm«, weil seine Botschaft »ihr Herzen erreichte«, und er »lehrte wie einer, der göttliche Vollmacht hat«. Denn, so der Papst weiter, »Jesus näherte sich dem Volk; Jesus heilte das Herz des Volkes; Jesus verstand die Schwierigkeiten des Volkes; Jesus schämte sich nicht, mit Sündern zu sprechen und suchte sie auf; Jesus verspürte Freude, er ging gern mit seinem Volk«. Und er selbst erklärte auch das »Warum«, sagte der Papst und zitierte die Worte des Evangeliums nach Johannes: »Ich bin der gute Hirt. … Die Schafe werden auf meine Stimme hören«. Genau »aus diesem Grund folgte das Volk Jesus nach: weil er der gute Hirt war«.
Ganz sicher, so hob der Bischof von Rom hervor, »war er weder ein kasuistischer moralistischer Pharisäer, noch ein Sadduzäer, der politische Händel mit den Mächtigen trieb. Auch war er kein Partisan, der nach der politischen Befreiung seines Volkes strebte, noch ein Kontemplativer in einem Kloster. Er war ein Hirt«. Der Papst fügte hinzu: »Er sprach die Sprache seines Volkes; er machte sich verständlich, er sagte die Wahrheit, die Dinge Gottes. Aber er sagte sie so, dass das Volk die Dinge Gottes liebte. Deshalb folgte es ihm nach.«
Ein weiterer zentraler Punkt, den der Papst hervorhob, ist die Tatsache, dass »Jesus sich nie vom Volk entfernt und sich nie von seinem Vater entfernt: Er war eins mit dem Vater«. So hatte er »diese Vollmacht, und daher folgte das Volk ihm nach«. Gerade »im Rahmen der Betrachtung Jesu, des guten Hirten« sei es gut, so der Papst weiter, sich einer Gewissensprüfung zu unterziehen: »Wem folge ich gerne nach? Denen, die über abstrakte Dinge oder moralische Kasuistik mit mir sprechen? Denen, die behaupten, zum Volk Gottes zu gehören, aber keinen Glauben haben und alles mit den politischen und wirtschaftlichen Mächten aushandeln? Denen, die immerzu seltsame Dinge, zerstörerische Dinge tun wollen, sogenannte Befreiungskriege, die aber am Ende nicht die Wege des Herrn sind? Oder einem mir fernstehenden Kontemplativen?« Das sei die entscheidende Frage, die man sich selbst stellen müsse: »Wem folge ich gerne nach? Wer beeinflusst mich?« Diese Frage, so Franziskus abschließend, müsse uns anspornen, »Gott, den Vater, zu bitten, dass er uns nahe zu Jesus kommen lässt, um Jesus nachzufolgen, um zu staunen über das, was Jesus uns sagt«.
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