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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Öffnen wir uns für die Gnade des Herrn

 Donnerstag, 27. März 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 14, 4. April 2014

Wir könnten die Lesungen, die uns die Kirche heute anbietet, als Dialog zwischen den Klagen Gottes und den Rechtfertigungen der Menschen bezeichnen. Gott, der Herr, beklagt sich. Er beklagt sich darüber, dass ihm im Verlauf der Geschichte kein Gehör geschenkt wurde. Es ist stets dasselbe: »Hört auf meine Stimme… Ich werde euer Gott sein… Es wird euch gut gehen…« – »Sie aber hörten nicht und neigten mir ihr Ohr nicht zu, sondern folgten den Eingebungen und Trieben ihres bösen Herzens. Sie zeigten mir den Rücken und nicht das Gesicht« (Jer 7,23-24). Es ist die Geschichte der Treulosigkeit des Volkes Gottes.

Und diese Klage Gottes erfolgt deshalb, weil es ein großes, ein sehr großes Werk war, das der Herr gewirkt hat, um aus dem Herzen seines Volkes den Götzendienst auszutilgen, um es folgsam für sein Wort zu machen. Sie aber gingen eine kurze Zeit auf diesem Weg, um dann wieder umzukehren. Und so geschah es Jahrhunderte und Aberjahrhunderte lang, bis zu dem Augenblick, als Jesus kam. Und genau dasselbe widerfuhr dem Herrn, widerfuhr Jesus. Manche sagten: »Dieser ist der Sohn Gottes, er ist ein großer Prophet!« Andere, von denen das heutige Evangelium spricht, sagten: »Nein, er ist ein Zauberer, der mit der Macht Satans heilt.« Das Volk Gottes war allein, und diese Führungsschicht – die Schriftgelehrten, die Sadduzäer, die Pharisäer – hatte sich in ihren Vorstellungen, in ihrer Pastoral, in ihrer Ideologie abgeschottet.

Und es ist diese Schicht, die das Wort des Herrn nicht gehört hat und die, um sich zu rechtfertigen, das sagt, was wir im Evangelium gehört haben: »Mit Hilfe von Beelzebul, dem Anführer der Dämonen, treibt er die Dämonen aus« (Lk 11,15). Das ist dasselbe, als wollten sie sagen: »Er ist ein Soldat des Beelzebul oder Satans oder der Clique Satans.« Es ist dasselbe. Sie rechtfertigen sich dafür, nicht auf den Ruf des Herrn gehört zu haben. Sie konnten ihn nicht hören: Sie waren sehr, sehr in sich verschlossen, fern vom Volk, und das ist wahr. Jesus blickt auf das Volk und ist bewegt, weil er es als »Schafe ohne Hirten« sieht, so sagt das Evangelium. Und er geht zu den Armen, er geht zu den Kranken, er geht zu jedermann, zu den Witwen, zu den Aussätzigen, um sie zu heilen. Und er spricht mit solcher Wortgewalt zu ihnen, dass er die Bewunderung des Volkes erntet: »Aber dieser spricht wie einer, der Vollmacht hat!« Er spricht anders als diese Führungsschicht, die sich vom Volk entfernt hatte und sich einzig und allein für ihre eigenen Angelegenheiten interessierte: für die eigene Gruppierung, für die eigene Partei, für ihre internen Kämpfe. Und das Volk dort… Sie hatten die Herde im Stich gelassen. Und waren diese Leute Sünder? Ja. Ja, wir alle sind Sünder, alle. Wir alle hier sind Sünder. Aber diese Leute waren noch mehr als Sünder: das Herz dieser Leute, dieser Gruppierung war im Lauf der Zeit sehr hart geworden, so sehr, dass es ihnen nicht mehr möglich war, die Stimme des Herrn zu vernehmen. Und sie sind von ihrem Zustand als Sünder noch weiter abgerutscht, sie sind Verdorbene geworden. Es ist sehr schwer, dass es einem Verdorbenen gelingt, umzukehren. Der Sünder ja, denn der Herr ist barmherzig und erwartet uns alle.

Aber der Verdorbene ist verbohrt in seinen Angelegenheiten, und diese waren verdorben. Und dafür rechtfertigten sie sich, denn Jesus in all seiner Einfachheit, aber mit seiner göttlichen Kraft, störte sie. Und ganz allmählich überzeugten sie sich davon, dass sie Jesus töten müssten, und einer von ihnen sagte: »Es ist besser, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt.« Diese Leute haben den falschen Weg eingeschlagen. Sie haben der Erlösung durch die Liebe des Herrn Widerstand entgegengesetzt, und so sind sie vom Glauben, von einer Theologie des Glaubens in eine Theologie der Pflicht abgeglitten: »Ihr müsst dies tun, und das, und jenes…« Und Jesus sagt zu ihnen dieses schlimme Wort: »Heuchler! Ihr schnürt schwere Lasten zusammen und legt sie den Menschen auf die Schultern.

Und ihr selbst? Ihr berührt sie nicht einmal mit einem Finger! Ihr Heuchler!« Sie haben die  Liebe des Herrn zurückgewiesen, und diese Verweigerung hat dazu geführt, dass sie auf einen Weg geraten sind, der nicht der vom Herrn angebotene Weg der Dialektik der Freiheit war, sondern der Weg der Logik der Notwendigkeit, wo es keinen Platz für den Herrn gibt. In der Dialektik der Freiheit ist der gütige Herr, der uns liebt, der uns sehr liebt! In der Logik der Notwendigkeit hingegen ist kein Platz für Gott: man muss dies machen, man muss das machen, man muss … Sie sind förmlich geworden. Männer mit guten Manieren, aber mit schlechten Angewohnheiten. Jesus bezeichnet sie als »weißgetünchte Gräber «. Das ist der Schmerz des Herrn, der Schmerz Gottes, die Klage Gottes. »Kommt, lasst uns den Herrn anbeten, weil er uns liebt.« »Kehrt um zu mir von ganzem Herzen «, sagt er zu uns, »denn ich bin gnädig und barmherzig.« Diese Leute, die sich rechtfertigen, verstehen weder Barmherzigkeit noch Gnade. Dieses Volk hingegen, das Jesus so sehr liebte, bedurfte der Barmherzigkeit und der Gnade, und ging hin, um den Herrn darum zu bitten.

Auf diesem Weg der Fastenzeit tut es uns allen gut, an diese Einladung des Herrn zur Liebe zu denken, an diese Dialektik der Freiheit, wo die Liebe ist, und uns zu fragen, alle: Aber ich, bin ich auf diesem Weg? Oder laufe ich Gefahr, mich zu rechtfertigen und einen anderen Weg einzuschlagen? Einen konjunkturbedingten Weg, da er zu keinerlei Verheißung führt. Und bitten wir den Herrn, dass er uns die Gnade gewähre, stets auf dem Weg des Heils zu gehen, uns für das Heil zu öffnen, das einzig und allein von Gott kommt, vom Glauben, nicht aber von dem, was diese »Pflichtgelehrten« anboten, die ihren Glauben verloren hatten und das Volk mit dieser Pastoraltheologie der Pflicht regierten. Lasst uns um diese Gnade bitten: Herr, schenke mir die Gnade, mich für dein Heil zu öffnen. Dazu ist die Fastenzeit da. Gott liebt uns alle: er liebt uns alle! Die Anstrengung unternehmen, uns zu öffnen: das ist das einzige, was er von uns verlangt. »Öffne mir die Tür. Den Rest tue ich.« Lassen wir zu, dass er in uns einzieht, uns liebkost und uns das Heil schenkt. So sei es.



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