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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Wenn Gott weint

 Dienstag, 4. Februar 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 7, 14. Februar 2014

 

Jeder gute Vater »braucht den Sohn: er erwartet ihn, er sucht ihn, er liebt ihn, er vergibt ihm, er will ihn in seiner Nähe haben, so nah wie die Henne ihre Küken«. Das sagte Papst Franziskus in der Predigt der heiligen Messe am Dienstag Morgen, 4. Februar, in der Casa Santa Marta. Der Papst behandelte in seinem Kommentar zu den Lesungen vom Tag das Thema der Vaterschaft.

Dabei stellte er eine Verbindung her zwischen den beiden Hauptfiguren aus dem Matthäusevangelium (5,21-43) und aus dem 2. Buch Samuel (18,9-10.24-25.30; 19,1-4): Jaïrus, einer der Synagogenvorsteher zur Zeit Jesu, »der um die Heilung seiner Tochter bittet«, und David, »der leidet wegen des Krieges, den sein Sohn gegen ihn führt«. Zwei Begebenheiten, die dem Bischof von Rom zufolge zeigen, dass jeder Vater eine »Salbung hat, die von seinem Kind kommt: er kann sich selbst nicht verstehen ohne das Kind«.

In Bezug auf den König von Israel erinnerte der Papst zunächst daran, dass David, obwohl sein Sohn Abschalom sein Feind geworden sei, »auf Nachrichten aus dem Krieg wartete. Er saß zwischen den beiden Toren des Palastes und hielt Ausschau.« Und auch wenn alle sicher gewesen seien, dass er »die Nachricht von einem schönen Sieg« erwartet habe, so habe er »in Wirklichkeit doch etwas anderes erwartet: er wartete auf seinen Sohn. Der Sohn interessierte ihn. Er war König, er war das Oberhaupt des Landes«, aber vor allem »war er Vater«. Und als »die Nachricht vom Ende seines Sohnes gebracht wurde«, da »zuckte der König zusammen, stieg in den oberen Raum des Tores hinauf und weinte: ›Mein Sohn Abschalom! Mein Sohn, mein Sohn Abschalom! Wäre ich doch an deiner Stelle gestorben, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn!‹«

Das »ist das Herz eines Vaters«, erläuterte Papst Franziskus, »der seinen Sohn niemals verstößt, auch wenn er ein Bandit oder ein Feind ist«, und der um ihn weine. In diesem Zusammenhang wies der Papst daraufhin, dass David in der Bibel zweimal um seine Söhne weint: einmal an dieser Stelle und auch als der aus dem Ehebruch geborene Sohn sterben sollte: »damals fastete er und tat Buße, um das Leben des Sohnes zu retten«, weil er »Vater war«.

Wieder zur Schilderung des biblischen Textes zurückkehrend, hob der Bischof von Rom ein weiteres Element dieser Szene hervor: das Schweigen. »Die Soldaten sind schweigend aus der Schlacht in die Stadt zurückgekehrt«, so merkte er an. Als David jung gewesen sei, bei seiner Rückkehr in die Stadt, nachdem er den Philister getötet hatte, wären dagegen alle Frauen aus den Häusern geeilt, um »ihn zu loben, in Feststimmung; denn so geschah es, wenn die Soldaten nach einem Sieg heimkehrten«. Bei Abschaloms Tod hingegen »wurde der Sieg verborgen, da der König weinte«; tatsächlich sei David »mehr schmerzerfüllter Vater« gewesen als »König und Sieger«.

Was hingegen die Gestalt aus dem Evangelium anbelangt, den Synagogenvorsteher, so hob Papst Franziskus hervor, dass es sich bei ihm um »eine wichtige Persönlichkeit« gehandelt habe, die sich aber »angesichts der Krankheit der Tochter « keineswegs genierte, sich Jesus zu Füßen zu werfen und ihn anzuflehen: »Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt!« Dieser Mann denke nicht über die Folgen seiner Geste nach. Er hält nicht ein, um darüber nachzudenken, dass, wenn Christus »statt eines Propheten ein Hexenmeister wäre«, er das Risiko einginge, sich zu blamieren. Da er »ein Vater« sei, so sagte der Papst, »denkt er nicht lang nach: er riskiert es, stürzt sich blindlings hinein und bittet «. Und auch bei dieser Szene finden die Protagonisten, als sie das Haus betreten, Tränen und lautes Wehklagen. »Es waren Menschen anwesend, die laut schrien, weil das ihre Arbeit war: sie arbeiteten auf diese Weise, sie gingen in die Häuser der Verstorbenen, um sie zu beweinen.« Aber ihre Klage war »nicht die Wehklage eines Vaters«.

Hier also liegt die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Vatergestalten. Ihre Priorität sind ihre Kinder. Und das »lässt uns an das allererste denken, was wir im Glaubensbekenntnis zu Gott sagen: ›Ich glaube an Gott, den Vater‹. Das lässt uns an die Vaterschaft Gottes denken. Gott verhält sich uns gegenüber gerade so«. Nun könnte jemand einwenden: »Aber Vater, Gott weint nicht!« Ein Einwand, auf den der Papst erwiderte: »Aber natürlich tut er das! Erinnern wir uns an Jesus, als er weinte, während er Jerusalem betrachtete: ›Jerusalem, Jerusalem, (…) Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt.« Und in dieser Klage wird die Klage des Vaters dargestellt, »der in den schwierigen Augenblicken uns alle bei sich haben will«.

Der Papst erinnerte auch daran, dass es in der Bibel mindestens »zwei schlimme Augenblicke gibt, in denen der Vater« auf die Klage des Sohnes »antwortet«. Der erste sei die Geschichte, wie Isaak von Abraham auf den Berg geführt werde, um als Brandopfer dargebracht zu werden: er bemerke, »dass Holz und Feuer gebracht wurden, nicht aber das Opferlamm«. Deshalb »spürte er Furcht in seinem Herzen. Und was sagte er? Vater . Und die Antwort kam sogleich: Ja, mein Sohn! Der zweite Augenblick sei das Gebet »Jesu in Getsemani, mit jener Furcht im Herzen: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Und die Engel sind gekommen, um ihm Kraft zu verleihen. So ist unser Gott: er ist Vater«.

Nicht nur: Die Vorstellung von David, der zwischen den beiden Toren des Palastes sitzend auf Nachrichten wartet, lässt an das Gleichnis im 15. Kapitel des Lukasevangeliums denken, an jenen Vater, der auf den verlorenen Sohn wartete, »der mit allem Geld, mit seinem ganzen Erbteil weggezogen war. Woher wissen wir, dass er ihn erwartete?«, so fragte sich Papst Franziskus. Weil – und das sei die Antwort, die uns die Schrift erteile – »er ihn schon von weitem kommen sah. Und weil er jeden Tag Ausschau hielt und wartete «, dass der Sohn heimkehre. In diesem barmherzigen Vater sei in der Tat »unser Gott« zu erkennen, der »ein Vater ist«. Daher der Wunsch, dass die physische Vaterschaft der Familienväter und die geistliche Vaterschaft der Ordensmänner, Priester und Bischöfe stets so sein mögen, wie die der beiden Protagonisten der Schriftlesungen: zwei Männer, die Väter sind«.

Abschließen forderte der Papst dazu auf, über diese beiden »Ikonen« nachzudenken – den weinenden David und den Synagogenvorsteher, der sich Jesus zu Füßen warf, ohne sich zu genieren«, ohne Angst, sich lächerlich zu machen, weil »ihre Kinder auf dem Spiel standen« – und er bat die Gläubigen, ihr Glaubensbekenntnis zu erneuern, indem sie sagten: »Ich glaube an Gott, den Vater« und indem sie den Heiligen Geist bitten sollten, uns zu lehren, »Abba, lieber Vater« zu sagen. Denn, so schloss er, »es ist eine Gnade, zu Gott von Herzen sagen zu können: Vater«.



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