PAPST FRANZISKUS
GENERALAUDIENZ
Audienzhalle
Mittwoch, 6. April 2022
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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und herzlich willkommen!
Am vergangenen Samstag und Sonntag habe ich mich nach Malta begeben: eine Apostolische Reise, die schon lange geplant war. Sie wurde vor zwei Jahren verschoben, aufgrund von Covid und seinen Folgen. Nicht viele wissen, dass Malta, obwohl es eine Insel mitten im Mittelmeer ist, das Evangelium sehr früh empfangen hat. Warum? Weil der Apostel Paulus vor seiner Küste Schiffbruch erlitten und sich auf wunderbare Weise gerettet hat, mit allen, die auf dem Schiff waren, über 270 Menschen. Das Buch der Apostelgeschichte berichtet, dass die Malteser alle aufgenommen haben, und benutzt diesen Ausdruck: »Sie erwiesen uns ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit« (28,2). Das ist wichtig, man darf es nicht vergessen: »Sie erwiesen uns ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit.« Ich habe diese Worte, »Sie erwiesen und ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit«, als Motto meiner Reise gewählt, weil sie nicht nur den Weg weisen, um dem Phänomen der Migranten zu begegnen, sondern ganz allgemein, um die Welt geschwisterlicher, lebenswerter zu machen und aus einem »Schiffbruch« zu retten, der uns alle bedroht, die wir – wie wir gelernt haben – im selben Boot sitzen, alle. Malta ist in dieser Hinsicht ein Schlüsselort.
Das ist es vor allem geografisch, aufgrund seiner Lage mitten in dem Meer, das zwischen Europa und Afrika liegt, aber auch Asien berührt. Malta ist eine Art »Windrose«, wo Völker und Kulturen einander begegnen; es ist ein vorzüglicher Punkt, um den Mittelmeerraum in alle Richtungen, mit 360-Grad-Ansicht, zu betrachten. Heute ist oft die Rede von »Geopolitik«, aber leider ist die vorherrschende Logik die der Strategien der mächtigsten Staaten, um die eigenen Interessen durchzusetzen, indem man den wirtschaftlichen, ideologischen oder militärischen Einflussbereich erweitert: Das sehen wir derzeit durch den Krieg. Malta steht in diesem Rahmen für das Recht und die Kraft der »Kleinen«, der kleinen Nationen, die jedoch reich sind an Geschichte und Zivilisation und die eine andere Logik voranbringen sollten: die Logik der Achtung und der Freiheit, die Logik der Achtung und auch die Logik der Freiheit, des Zusammenlebens der Unterschiede, die der Kolonisierung der Mächtigeren entgegensteht. Das sehen wir derzeit. Und nicht nur an einem Ort: auch an anderen Orten… Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man versucht, die Grundlagen zu schaffen für eine neue Geschichte des Friedens, aber leider – wir lernen nie dazu – ist die alte Geschichte der konkurrierenden Großmächte weitergegangen. Und im gegenwärtigen Krieg in der Ukraine erleben wir die Machtlosigkeit der Organisation der Vereinten Nationen.
Zweiter Aspekt: Malta ist ein Schlüsselort, was das Phänomen der Migrationen betrifft. Im Flüchtlingszentrum »Johannes XXIII.« bin ich zahlreichen Migranten begegnet, die nach schrecklichen Reisen auf der Insel gestrandet sind. Man darf nicht müde werden, ihre Zeugnisse zu hören, denn nur so kommt man heraus aus der verzerrten Sichtweise, die oft in den Massenmedien kursiert, und kann die Gesichter, die Geschichten, die Wunden, die Träume und die Hoffnungen dieser Migranten erkennen. Jeder Migrant ist einzigartig: Er ist keine Nummer, sondern eine Person; er ist einzigartig wie jeder von uns. Jeder Migrant ist eine Person mit ihrer Würde, ihren Wurzeln, ihrer Kultur. Jeder von ihnen ist Träger eines Reichtums, der unendlich viel größer ist als die Probleme, die er mit sich bringt. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Europa aus den Migrationen entstanden ist.
Gewiss, die Aufnahme muss organisiert werden – das stimmt –, muss gelenkt werden und muss vorher, viel früher, gemeinsam geplant werden, auf internationaler Ebene. Denn das Migrationsphänomen kann nicht auf einen Notstand reduziert werden, es ist ein Zeichen unserer Zeit. Und als solches muss es verstanden und ausgelegt werden. Es kann ein Zeichen des Konflikts oder ein Zeichen des Friedens werden. Das hängt davon ab, wie wir es nehmen, es hängt von uns ab. Jene, die auf Malta das Zentrum »Johannes XXIII.« ins Leben gerufen haben, haben eine christliche Entscheidung getroffen und es daher »Peace Lab« genannt: »Laboratorium des Friedens«. Ich möchte jedoch sagen, dass Malta insgesamt ein Laboratorium des Friedens ist! Die ganze Nation mit ihrer Haltung, mit ihrer eigenen Haltung, ist ein Laboratorium des Friedens. Und es kann diese Sendung verwirklichen, wenn es aus seinen Wurzeln den Lebenssaft der Geschwisterlichkeit, des Mitgefühls, der Solidarität schöpft. Das maltesische Volk hat diese Werte zusammen mit dem Evangelium empfangen und kann sie dank des Evangeliums lebendig erhalten.
Daher bin ich als Bischof von Rom hingegangen, um jenes Volk im Glauben und in der Gemeinschaft zu stärken. Denn – dritter Aspekt – Malta ist ein Schlüsselort auch unter dem Gesichtspunkt der Evangelisierung. Von Malta und von Gozo, den beiden Diözesen des Landes, sind viele Priester und Ordensleute, aber auch viele gläubige Laien aufgebrochen, die das christliche Zeugnis in die ganze Welt gebracht haben. So als hätte die Durchreise des heiligen Paulus die Mission in der DNA der Malteser hinterlassen! Daher war mein Besuch vor allem ein Akt der Dankbarkeit: Dankbarkeit gegenüber Gott und seinem heiligen gläubigen Volk auf Malta und auf Gozo.
Dennoch bläst auch dort der Wind des Säkularismus und der globalisierten Pseudokultur auf der Grundlage des Konsumismus, des Neokapitalismus und des Relativismus. Auch dort ist es daher an der Zeit für eine Neu-evangelisierung. Der Besuch, den ich, wie meine Vorgänger, der Grotte des heiligen Paulus abgestattet habe, war gleichsam ein Schöpfen aus der Quelle, damit das Evangelium auf Malta mit der Frische der Anfänge hervorsprudeln und sein großes Erbe der Volksfrömmigkeit neu beleben kann. Das wird symbolisiert vom nationalen Marienheiligtum »Ta’ Pinu« auf der Insel Gozo, wo wir eine tiefe Gebetsbegegnung gefeiert haben. Dort habe ich das Herz des maltesischen Volkes schlagen gehört, das großes Vertrauen in seine heilige Mutter hat. Maria führt uns immer zum Wesentlichen zurück, zu Chris-tus, der gekreuzigt wurde und auferstanden ist, und zwar für uns, zu seiner barmherzigen Liebe. Maria hilft uns, die Flamme des Glaubens neu zu beleben, indem wir aus dem Feuer des Heiligen Geistes schöpfen, das von Generation zu Generation die freudige Verkündigung des Evangeliums beseelt, denn die Freude der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums! Vergessen wir nicht jenes Wort des heiligen Paulus: Die Berufung der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums; die Freude der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums. Vergessen wir es nicht, denn es ist die schönste Definition der Kirche.
Ich ergreife diese Gelegenheit, um erneut meinen Dank zum Ausdruck zu bringen: dem Herrn Präsidenten der Republik Malta – er ist so freundlich und ein Bruder: ich danke ihm und seiner Familie –; dem Herrn Premierminister und allen anderen zivilen Obrigkeiten, die mich so freundlich aufgenommen haben; ebenso wie den Bischöfen und allen Mitgliedern der kirchlichen Gemeinschaft, den ehrenamtlichen Helfern und allen, die mich mit dem Gebet begleitet haben.
Ich möchte es nicht versäumen, das Flüchtlingszentrum »Johannes XXII.« zu erwähnen: Der Franziskanerbruder, der es voranbringt, P. Dionisio Mintoff, ist 91 Jahre alt und arbeitet dort auch weiterhin, mit Hilfe der Mitarbeiter der Erzdiözese. Er ist ein Vorbild an apostolischem Eifer und an Liebe zu den Migranten, derer es heute sehr bedarf. Wir säen mit diesem Besuch, aber der Herr ist es, der es wachsen lässt. Möge seine unendliche Güte dem geliebten maltesischen Volk reiche Früchte des Friedens und allen Wohlergehens gewähren! Danke an dieses maltesische Volk für seine so menschliche, so christliche Aufnahme. Vielen Dank.
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APPELL
Statt Erleichterung und Hoffnung zu bringen, bezeugen die jüngsten Nachrichten über den Krieg in der Ukraine vielmehr neue Gräueltaten, wie das Massaker von Butscha: immer schrecklichere Grausamkeiten, die auch gegen Zivilisten, wehrlose Frauen und Kinder, begangen werden. Sie sind Opfer, deren unschuldiges Blut zum Himmel schreit und fleht: Macht diesem Krieg ein Ende! Lasst die Waffen schweigen! Hört auf, Tod und Zerstörung zu säen! Beten wir gemeinsam dafür…
Und gestern hat man mir aus Butscha diese Fahne gebracht. Diese Fahne kommt aus dem Krieg, aus jener gequälten Stadt, Butscha. Und es sind auch einige ukrainische Kinder hier, die uns begleiten. Begrüßen wir sie und beten wir gemeinsam mit ihnen.
Diese Kinder mussten fliehen und in ein fremdes Land kommen: Das ist eine der Früchte des Krieges. Vergessen wir sie nicht, und vergessen wir nicht das ukrainische Volk. Es ist hart, wegen eines Krieges aus dem eigenen Land entwurzelt zu werden.
(Abschließend holte der Heilige Vater eine Gruppe ukrainischer Kinder auf das Podium. Die Kinder und einige sie begleitende Frauen halten sich derzeit in Italien auf; einzelne Kinder werden wegen Kriegsverletzungen im vatikanischen Kinderkrankenhaus Bambino Gesù behandelt. )
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Herzlich grüße ich die Pilger deutscher Sprache. Die Gottesmutter Maria hat ihren Sohn auf seinem Weg zum Kreuz treu begleitet. Sie sei auch mit uns in aller Dunkelheit unserer Zeit. Sie führe uns zu ihrem Sohn, der uns durch seinen Tod und seine Auferstehung den Weg zur ewigen Freude erschlossen hat. Auch wenn es im deutschen Text nicht gestanden hat, möchte ich hier die deutsche Musikkapelle grüßen, die bei meiner Ankunft gespielt hat. Vielen Dank!
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