PAPST FRANZISKUS
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 30. November 2016
Katechese. 38. Zu Gott für die Lebenden und die Toten beten
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Mit der heutigen Katechese beschließen wir den Zyklus über die Barmherzigkeit. Die Katechesen enden, aber die Barmherzigkeit muss weitergehen! Danken wir dem Herrn für all das und bewahren wir es im Herzen als Trost und Stärkung. Das letzte geistige Werk der Barmherzigkeit verlangt, für die Lebenden und für die Verstorbenen zu beten. Ihm können wir auch das letzte leibliche Werk der Barmherzigkeit zur Seite stellen, das auffordert, die Toten zu begraben.
Letzteres mag uns als eine seltsame Bitte erscheinen; aber in einigen Gebieten der Welt, die unter der Geißel des Krieges leben, mit Bombardierungen, die Tag und Nacht Angst säen und unschuldige Opfer fordern, ist dieses Werk auf traurige Weise aktuell. Die Bibel hat in diesem Zusammenhang ein schönes Beispiel: das des alten Tobit, der unter Lebensgefahr die Toten begrub, trotz des Verbots des Königs (vgl. Tob 1,17-19;2,2-4). Auch heute gibt es Menschen, die ihr Leben riskieren, um die armen Kriegsopfer zu begraben. Dieses leibliche Werk der Barmherzigkeit ist also unserem täglichen Leben nicht fern.
Und es lässt uns daran denken, was am Karfreitag geschehen ist, als die Jungfrau Maria mit Johannes und einigen Frauen unter dem Kreuz Jesu stand. Nach Jesu Tod kam Josef aus Arimathäa, ein reicher Mann, Mitglied des Hohen Rates, der jedoch Jünger Jesu geworden war, und gab ihm sein neues Grab, das in den Felsen gehauen war. Er ging persönlich zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu: ein wahres Werk der Barmherzigkeit, mit großem Mut unternommen (vgl. Mt 27,57-60)! Für die Christen ist das Begräbnis ein Akt der Frömmigkeit, aber auch ein Akt großen Glaubens. Wir legen den Leib unserer Angehörigen in das Grab, mit der Hoffnung auf ihre Auferstehung (vgl. 1 Kor 15,1-34). Dieser Ritus wird in unserem Volk immer noch sehr stark und tief empfunden, und er findet besondere Resonanz jetzt im Monat November, der insbesondere dem Gedenken und dem Gebet für die Verstorbenen gewidmet ist.
Für die Verstorbenen zu beten ist vor allem ein Zeichen der Anerkennung für das Zeugnis, das sie uns hinterlassen, und das Gute, das sie getan haben. Wir danken damit dem Herrn, dass er sie uns geschenkt hat, sowie für ihre Liebe und ihre Freundschaft. Die Kirche betet für die Verstorbenen auf besondere Weise in der heiligen Messe. Der Priester sagt: »Gedenke auch deiner Diener und Dienerinnen, die uns vorangegangen sind, bezeichnet mit dem Siegel des Glaubens, und die nun ruhen in Frieden. Wir bitten dich: Führe sie und alle, die in Christus entschlafen sind, in das Land der Verheißung, des Lichtes und des Friedens« (Römischer Messkanon). Ein einfaches, wirksames, bedeutungsvolles Gedenken, denn es vertraut unsere Angehörigen der Barmherzigkeit Gottes an. Wir beten mit christlicher Hoffnung, dass sie bei ihm im Paradies sein mögen, in der Erwartung, einst wieder vereint zu sein in jenem Geheimnis der Liebe, das wir nicht verstehen, von dem wir jedoch wissen, dass es wahr ist, weil es eine Verheißung ist, die Jesus uns gemacht hat. Wir alle werden auferstehen, und wir alle werden für immer bei Jesus, bei ihm bleiben.
Das Gedenken an die verstorbenen Gläubigen darf uns nicht vergessen lassen, auch für die Lebenden zu beten, die zusammen mit uns jeden Tag mit den Prüfungen des Lebens konfrontiert sind. Die Notwendigkeit dieses Gebets ist noch offensichtlicher, wenn wir es in das Licht des Glaubensbekenntnisses stellen, in dem es heißt: »Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen.« Dieses Geheimnis bringt die Schönheit der Barmherzigkeit zum Ausdruck, die Jesus uns offenbart hat. Denn die Gemeinschaft der Heiligen verweist darauf, dass wir alle in das Leben Gottes hineingetaucht sind und in seiner Liebe leben.
Wir alle, Lebende und Verstorbene, sind in Gemeinschaft, also gleichsam eine Einheit; verbunden in der Gemeinschaft derer, die die Taufe empfangen haben, und derer, die sich vom Leib Christi genährt haben und zur großen Familie Gottes gehören. Wir gehören alle zu einer Familie, sind miteinander verbunden. Und darum beten wir füreinander.
Wie viele verschiedene Formen gibt es, für unseren Nächsten zu beten! Sie sind alle wertvoll und Gott gefällig, wenn sie mit dem Herzen geschehen. Ich denke insbesondere an die Mütter und Väter, die ihre Kinder am Morgen und am Abend segnen. Noch immer gibt es diesen Brauch in einigen Familien: Das Kind zu segnen ist ein Gebet. Ich denke an das Gebet für die kranken Menschen, wenn wir sie besuchen und für sie beten; an die stille Fürbitte, manchmal unter Tränen, in vielen schwierigen Situationen, für die wir beten sollen.
Gestern ist nach »Santa Marta« in die Messe ein guter Mann gekommen, ein Unternehmer. Dieser junge Mann muss seine Fabrik schließen, weil er es nicht schafft, und sagte weinend: »Ich bringe es nicht übers Herz, über 50 Familien ohne Arbeit zurückzulassen. Ich könnte für das Unternehmen Konkurs anmelden: Ich gehe nach Hause mit meinem Geld, aber mein Herz wird das ganze Leben lang um diese 50 Familien weinen. « Das ist ein guter Christ, der mit den Werken betet: Er ist in die Messe gekommen, um zu beten, damit der Herr ihm einen Ausweg zeige – nicht nur für ihn, sondern für die 50 Familien. Das ist ein Mann, der zu beten versteht, mit dem Herzen und mit Taten; er versteht für den Nächsten zu beten. Er ist in einer schwierigen Situation. Und er sucht nicht den einfachsten Ausweg: »Die müssen selbst klarkommen.« Das ist ein Christ. Es hat mir sehr gut getan, ihn zu hören! Und vielleicht gibt es viele solche Menschen, heute, in diesem Augenblick, in dem viele Menschen unter Arbeitslosigkeit leiden.
Ich denke auch an den Dank für eine gute Nachricht, die einen Freund, einen Verwandten, einen Kollegen betrifft: »Danke, Herr, für diese schöne Sache!« Auch das bedeutet, für die anderen zu beten! Dem Herrn danken, wenn die Dinge gut gehen. »Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können«, sagt der heilige Paulus (Röm 8,26). Der Geist ist es, der in uns betet. Öffnen wir also unser Herz, damit der Heilige Geist die Wünsche erforschen kann, die tief in unserem Innern sind, um sie zu läutern und zur Erfüllung zu bringen. Auf jeden Fall wollen wir für uns und für die anderen immer beten, dass Gottes Wille geschehe, wie im »Vaterunser«.
Denn sein Wille ist mit Sicherheit das größere Gut, das Gut eines Vaters, der uns nie verlässt: beten und den Heiligen Geist in uns beten lassen. Und das ist schön im Leben: Bete dankend, Gott preisend, um etwas bittend, weinend, wenn es Schwierigkeiten gibt, wie jener Mann. Aber das Herz muss stets offen sein für den Heiligen Geist, damit er in uns, mit uns und für uns beten kann. Zum Abschluss dieser Katechesen über die Barmherzigkeit wollen wir uns verpflichten, füreinander zu beten, damit die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit immer mehr zu unserem Lebensstil werden. Wie ich am Anfang gesagt habe, enden die Katechesen hier. Wir haben den Weg der 14 Werke der Barmherzigkeit beschritten, aber die Barmherzigkeit geht weiter, und wir müssen sie auf diese 14 Weisen üben. Danke.
* * *
Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger deutscher Sprache. Vergessen wir nie unsere lieben Verstorbenen im Gebet. Wir wissen, dass wir ihnen so über den Tod hinaus verbunden bleiben. Ich wünsche euch einen guten Aufenthalt in Rom und segne euch alle von Herzen.
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana