Liebe Brüder und Schwestern, einen schönen Sonntag!
Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit, und im heutigen Evangelium kommentiert Jesus zunächst einige aktuelle Ereignisse. Während die Erinnerung an achtzehn Menschen, die beim Einsturz eines Turms ums Leben gekommen waren, noch frisch in seinem Gedächtnis war, wird ihm von einigen Galiläern berichtet, die Pilatus hatte töten lassen (vgl. Lk 13,1). Und es gibt eine Frage, die diese tragischen Berichte zu begleiten scheint: wer trägt die Schuld an diesen schrecklichen Ereignissen? Waren diese Menschen wohl schuldiger als andere, und Gott hat sie bestraft? Das sind Fragen, die immer aktuell sind; wenn wir bedrückt sind aufgrund von Nachrichten über Verbrechen und uns angesichts des Bösen ohnmächtig fühlen, dann fragen wir uns oft: ist es vielleicht eine Strafe Gottes? Ist Er es, der einen Krieg oder eine Pandemie schickt, um uns für unsere Sünden zu bestrafen? Und warum schreitet der Herr nicht ein?
Wir müssen vorsichtig sein: wenn uns das Böse bedrängt, laufen wir Gefahr, den Durchblick zu verlieren, und auf der Suche nach einer einfachen Antwort auf das, was wir nicht erklären können, geben wir am Ende Gott die Schuld. Und oft hat die hässliche und schlechte Gewohnheit der Blasphemie gerade hier ihren Ursprung. Wie oft schieben wir unser Unglück ihm in die Schuhe, wir geben die Schuld am Unglück der Welt ihm, der uns doch immer die Freiheit lässt und deshalb nie mit Zwang, sondern nur mit Vorschlägen eingreift; ihm, der nie Gewalt anwendet und tatsächlich für uns und mit uns leidet! Jesus lehnt es nämlich ab und widersetzt sich energisch der Vorstellung, Gott für unsere Übel verantwortlich zu machen: die Menschen, die Pilatus hatte töten lassen und jene, die unter dem Turm starben, waren keineswegs schuldiger als andere und sind keine Opfer eines erbarmungslosen und rachsüchtigen Gottes, den es nicht gibt! Das Böse kann niemals von Gott kommen, denn: »er handelt an uns nicht nach unsern Sünden« (Ps 103,10), sondern nach seiner Barmherzigkeit. Das ist der Stil Gottes. Er kann uns nicht anders behandeln. Er begegnet uns immer mit Barmherzigkeit.
Doch anstatt Gott die Schuld zu geben, sagt Jesus, müssen wir in uns selbst hineinschauen: es ist die Sünde, die den Tod hervorbringt; es ist unser Egoismus, der die Beziehungen zerstört; es sind unsere falschen und gewalttätigen Entscheidungen, die das Böse entfesseln. An diesem Punkt bietet der Herr die wahre Lösung an. Worin besteht sie? In der Umkehr: »Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt« (Lk 13,5). Dies ist eine dringende Aufforderung, besonders in dieser Fastenzeit. Wir sollten sie mit offenem Herzen annehmen. Bekehren wir uns vom Bösen, entsagen wir der Sünde, die uns verführt, öffnen wir uns der Logik des Evangeliums: denn wo die Liebe und die Geschwisterlichkeit herrschen, hat das Böse keine Macht mehr!
Jesus weiß aber, dass die Umkehr nicht einfach ist, und er will uns dabei helfen. Er weiß, dass wir oft in dieselben Irrtümer und Sünden zurückfallen, dass wir entmutigt werden und dass es uns vielleicht so vorkommt, als ob unser Einsatz für das Gute in einer Welt, in der das Böse zu herrschen scheint, nutzlos sei. Und so ermutigt er uns nach seinem Aufruf mit einem Gleichnis, das von der Geduld Gottes erzählt. Wir müssen an Gottes Geduld denken, an die Geduld, die Gott mit uns hat. Er bietet uns das tröstliche Bild eines Feigenbaums, der zur festgesetzten Zeit keine Früchte trägt, der aber nicht gefällt wird: man gibt ihm mehr Zeit, eine zweite Chance. Ich denke, ein guter Name für Gott wäre »der Gott der zweiten Chance«: er gibt uns immer eine zweite Chance, immer, immer. Das ist seine Barmherzigkeit. So macht es der Herr mit uns: er entzieht uns nicht seine Liebe, er verliert nicht den Mut, er wird es nicht müde, uns zärtlich wieder Vertrauen zu schenken. Brüder und Schwestern, Gott glaubt an uns! Gott vertraut uns und begleitet uns mit Geduld, Gottes Geduld mit uns. Er lässt sich nicht entmutigen, sondern setzt immer wieder Hoffnung in uns. Gott ist Vater und schaut auf dich wie ein Vater: wie der allerbeste Vater achtet er nicht auf die Ergebnisse, die du noch nicht erzielt hast, sondern auf die Früchte, die du noch tragen kannst; er rechnet dir nicht deine Fehler an, sondern ermutigt dein Potential; er hält sich nicht mit deiner Vergangenheit auf, sondern setzt zuversichtlich auf deine Zukunft. Weil Gott uns nahe ist, er ist uns nahe. Gottes Stil – das sollten wir nicht vergessen –: Nähe, er ist nahe, mit Barmherzigkeit und Zärtlichkeit. Und so begleitet uns Gott: nah, barmherzig und zärtlich.
Bitten wir also die Jungfrau Maria, uns Hoffnung und Mut zu geben und in uns das Verlangen nach Umkehr zu wecken.
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Nach dem Angelus sagte der Papst:
Liebe Brüder und Schwestern!
Leider hört die gewaltsame Aggression gegen die Ukraine nicht auf, ein sinnloses Massaker, bei dem sich Tag für Tag Gemetzel und Gräueltaten wiederholen. Das ist durch nichts zu rechtfertigen! Ich flehe alle Akteure der internationalen Gemeinschaft an, sich wirklich dafür einzusetzen, dass dieser abscheuliche Krieg aufhört.
Auch diese Woche sind wieder Raketen und Bomben auf die Zivilbevölkerung, auf ältere Menschen, Kinder und schwangere Mütter gefallen. Ich habe die verwundeten Kinder besucht, die hier in Rom sind. Einem fehlt ein Arm, das andere hat eine Kopfverletzung... Unschuldige Kinder. Ich denke an die Millionen ukrainischer Flüchtlinge, die fliehen und alles zurücklassen müssen, und ich fühle tiefe Trauer für diejenigen, die nicht einmal die Chance haben zu fliehen. Viele kranke und arme Großeltern, die von ihren Familien getrennt sind, viele Kinder und schwache Menschen bleiben zurück, um unter den Bomben zu sterben, ohne dass ihnen geholfen wird und ohne selbst in den Luftschutzkellern Schutz zu finden. All das ist unmenschlich! Ja, es ist sogar ein Sakrileg, denn es richtet sich gegen die Heiligkeit des menschlichen Lebens, vor allem gegen das wehrlose menschliche Leben, das es zu achten und zu beschützen, nicht aber zu beseitigen gilt, und das den Vortritt vor jeder Strategie hat! Vergessen wir nicht: es ist eine unmenschliche und frevelhafte Grausamkeit! Beten wir in Stille für alle, die leiden.
Es tröstet mich zu wissen, dass die Menschen, die den Bomben ausgeliefert sind, der Nähe der Hirten nicht entbehren, die in diesen tragischen Tagen das Evangelium der Nächstenliebe und der Geschwisterlichkeit leben. In den letzten Tagen habe ich einige von ihnen am Telefon gehört, wie nah sie dem Volk Gottes sind. Danke, liebe Brüder, liebe Schwestern, für dieses Zeugnis und für die konkrete Unterstützung, die ihr so vielen verzweifelten Menschen mutig anbietet! Ich denke auch an den Apostolischen Nuntius, den soeben ernannten Nuntius, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, der seit Beginn des Krieges mit seinen Mitarbeitern in Kiew geblieben ist und mich mit seiner Anwesenheit jeden Tag dem gemarterten ukrainischen Volk nahebringt. Seien wir diesen Menschen nahe, umarmen wir sie mit Zuneigung und mit konkretem Engagement und mit Gebet. Und, bitte, gewöhnen wir uns nicht an Krieg und Gewalt! Wir sollen nicht müde werden, sie mit Großzügigkeit zu empfangen, so wie es jetzt geschieht: nicht nur jetzt, in der Notlage, sondern auch in den kommenden Wochen und Monaten. Denn ihr wisst, dass wir alle zunächst unser Bestes tun, um die Menschen willkommen zu heißen, aber dann kühlt die Gewöhnung unsere Herzen ein wenig ab und wir vergessen es. Denken wir an diese Frauen, an diese Kinder, die mit der Zeit ohne Arbeit, getrennt von ihren Männern, von den »Aasgeiern« der Gesellschaft gesucht werden. Lasst sie uns bitte schützen.
Ich lade alle Gemeinschaften und alle Gläubigen ein, mit mir am Freitag, 25. März, Hochfest der Verkündigung, einen feierlichen Akt der Weihe der Menschheit, insbesondere Russlands und der Ukraine, an das Unbefleckte Herz Mariens zu vollziehen, damit sie, die Königin des Friedens, den Frieden für die Welt erlangen möge.
Ich grüße euch alle, die Römer und die Pilger, die aus Italien und aus verschiedenen Ländern gekommen sind. Insbesondere grüße ich die Gläubigen aus Madrid, die internationale Gruppe »Agora der Erdenbewohner«, die Ärzte und das Personal des Notrufdienstes 118, die katholische Charismatische Erneuerung »Charis« – die einzige offiziell anerkannte »Charis«, keine anderen – sowie die Mitglieder der Fokolar-Bewegung. Ich grüße den »Piccolo Coro dell’Antoniano« aus Bologna mit der Musikkapelle der Staatspolizei, den Chor »Ensemble Vox Cordis« aus Fornovo San Giovanni, den Chor »San Vincenzo Grossi« aus Pizzighettone, die Jugendlichen des Glaubensbekenntnisses aus Angera, Sesto Calende und Ternate, die Wallfahrt der Diözese Asti und die Gläubigen aus Venedig und Sassari.
Ich wünsche allen einen schönen Sonntag. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen.
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