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BISCHOFSSYNODE

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III. AUSSERORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG

DIE PASTORALEN HERAUSFORDERUNGEN
IM HINBLICK AUF DIE FAMILIE IM KONTEXT DER 
EVANGELISIERUNG

RELATIO SYNODI

Vatikanstadt
18. Oktober 2014

   

Einleitung

1. Um den Papst versammelt richtet die Bischofssynode ihre Gedanken auf alle Familien der Welt, mit ihren Freuden, ihren Sorgen, ihren Hoffnungen. Insbesondere fühlt sie die Verpflichtung, dem Herrn für die großherzige Treue zu danken, mit der viele christliche Familien ihrer Berufung und ihrer Sendung entsprechen. Sie tun dies mit Freude und mit Glauben, auch wenn sie ihr Weg als Familie mit Hindernissen, Verständnislosigkeit und Leiden konfrontiert. Diesen Familien gilt die Wertschätzung, der Dank und die Ermutigung der ganzen Kirche und dieser Synode. Während der Gebetsvigil, die zur Vorbereitung auf die Synode über die Familie am Samstag, den 4. Oktober auf dem Petersplatz stattfand, hat Papst Franziskus in einfacher und konkreter Form an die Zentralität der Erfahrung von Familie im Leben aller erinnert, als er sagte: «Mittlerweile senkt sich der Abend auf unsere Versammlung herab. Es ist die Zeit, in der man gerne nach Hause zurückkehrt, sich gemeinsam um den Tisch versammelt, in tiefer Zuneigung, in der Stärke des vollbrachten und empfangenen Guten, der Begegnungen, die das Herz erwärmen und es wachsen lassen – guter Wein, der in des Menschen Tage das Fest ohne Untergang vorwegnimmt. Es ist auch die schwerste Stunde für denjenigen, der der eigenen Einsamkeit Auge in Auge gegenübersteht, in der bitteren Dämmerung der zerbrochenen Träume und gescheiterten Pläne: wie viele Menschen schleppen die Tage in die Sackgasse der Entmutigung, des Aufgebens oder zumindest des Grolls. In wie vielen Häusern fehlt der Wein der Freude und damit der Geschmack des Lebens, die Weisheit des Lebens selbst […] Den einen wie den anderen geben wir an diesem Abend die Stimme mit unserem Gebet, einem Gebet für alle.»

2.  Als Ort der Freude und der Prüfungen, der tiefen Zuneigung und der zuweilen verletzten Beziehungen ist die Familie tatsächlich die „Schule der Menschlichkeit“ (vgl. Gaudium et Spes, 52), derer wir besonders bedürfen. Trotz der vielen Anzeichen einer Krise der Institution Familie in den verschiedenen Kontexten des „globalen Dorfes“ bleibt, vor allem unter den Jugendlichen, der Wunsch nach Familie lebendig. Dies bestärkt die Kirche, Expertin der Menschlichkeit und in Treue zu ihrer Sendung, ohne Unterlass und in tiefster Überzeugung das „Evangelium der Familie“ zu verkünden, das ihr mit der Offenbarung der Liebe Gottes in Jesus Christus anvertraut und von den Kirchenlehrern, den Meistern der Spiritualität und vom Lehramt der Kirche ununterbrochen gelehrt wurde. Die Familie hat für die Kirche eine ganz besondere Bedeutung und zu einer Zeit, in der alle Gläubigen eingeladen sind, aus sich selbst herauszugehen, ist es notwendig, dass die Familie sich als unverzichtbares Subjekt der Evangelisierung wiederentdeckt. Wir denken an das missionarische Zeugnis vieler Familien.

3. Der Bischof von Rom hat die Bischofssynode zusammengerufen, um bei ihrer außerordentlichen Generalversammlung im Oktober 2014 über die entscheidende und wertvolle Rolle der Familie nachzudenken, und diese Gedanken bei der ordentlichen Generalversammlung, die im Oktober 2015 stattfinden wird, zu vertiefen. Auch während des Jahres, das zwischen den beiden synodalen Ereignissen liegt, soll die Reflexion weiter gehen. «Bereits das convenire in unum um den Bischof von Rom ist ein Ereignis der Gnade, in dem die bischöfliche Kollegialität auf einem Weg der geistlichen und pastoralen Unterscheidung zum Ausdruck kommt.» So hat Papst Franziskus die synodale Erfahrung beschrieben und aufgezeigt, dass ihre Aufgabe im zweifachen Hören besteht: dem Hören auf die Zeichen Gottes und dem Hören auf die Geschichte der Menschen sowie in der zweifachen und einzigen Treue, die daraus folgt.

4. Im Lichte dieser Ansprache haben wir die Ergebnisse unserer Überlegungen und Gespräche in folgenden drei Teilen zusammen getragen: Das Zuhören, um die Realität der heutigen Familie in der Vielschichtigkeit ihrer Licht- und Schattenseiten betrachten zu können; der auf Christus gerichtete Blick, um mit neuer Frische und Begeisterung erneut darüber nachzudenken, was uns die im Glauben der Kirche überlieferte Offenbarung über die Schönheit, die Rolle und die Würde der Familie sagt; die vergleichende Sicht im Licht Jesu, um die Wege zu erkennen, auf denen Kirche und Gesellschaft sich in ihrem Einsatz für die auf der Ehe zwischen Mann und Frau begründete Familie erneuern können.

I. Teil
Das Hören: Der Kontext und die Herausforderungen
im Hinblick auf die Familie

Der soziokulturelle Kontext

5. In Treue zur Lehre Christi betrachten wir die Wirklichkeit der heutigen Familie in ihrer ganzen Komplexität, mit ihren Licht- und Schattenseiten. Wir denken an die Eltern, an die Großeltern, an die Brüder und Schwestern, an die nahen und entfernten Verwandten und an das Band zwischen zwei Familien, das durch jede Ehe geknüpft wird. Der anthropologisch-kulturelle Wandel beeinflusst heute alle Aspekte des Lebens und erfordert eine analytische und differenzierte Zugehensweise. Es gilt zuallererst, die positiven Aspekte hervorzuheben: die zumindest in einigen Regionen vorhandene größere Ausdrucksfreiheit und breitere Anerkennung der Rechte der Frau und der Kinder. Doch andererseits muss ebenso die wachsende Gefahr betrachtet werden, die im ausufernden Individualismus zum Ausdruck kommt, der die familiären Bindungen entstellt und dazu führt, jedes Mitglied der Familie als eine Insel zu betrachten, wobei in einigen Fällen die Vorstellung eines Subjekts überwiegt, das sich nach eigenen Wünschen formt, welche wiederum als etwas Absolutes angesehen werden. Hinzu kommt die Krise des Glaubens, die viele Katholiken betrifft und die oft an der Wurzel der Krisen von Ehe und Familie steht.

6. Eine der größten Erscheinungsformen der Armut in der gegenwärtigen Kultur ist die Einsamkeit, Ergebnis der Abwesenheit Gottes im Leben der Menschen und der Zerbrechlichkeit der Beziehungen. Es gibt außerdem ein allgemeines Gefühl der Ohnmacht angesichts der sozioökonomischen Wirklichkeit, das oft dazu führt, die Familien zu erdrücken. Das gilt etwa für die wachsende materielle Armut und die prekärenArbeitsverhältnisse, welche bisweilen als wahrer Alptraum erlebt werden, oder hinsichtlich einer allzu drückenden Steuerbelastung, die junge Menschen sicherlich nicht zur Ehe ermutigt. Oft fühlen sich die Familien auf Grund des Desinteresses und der geringen Aufmerksamkeit von Seiten der Institutionen verlassen. Im Hinblick auf die soziale Organisation sind die negativen Folgen sehr deutlich: von der demographischen Krise bis zu den Schwierigkeiten in der Erziehung, vom Zaudern bei der Annahme des ungeborenen Lebens bis dahin, dass die Gegenwart der alten Menschen als Last empfunden wird und zur Ausbreitung eines affektiven Unwohlseins, das zur Gewalt führt. Es liegt in der Verantwortung des Staates, rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, welche den Jugendlichen eine Zukunft garantieren und ihnen dabei helfen, ihr Vorhaben der Familiengründung umzusetzen.

7. Es gibt kulturelle und religiöse Kontexte, welche besondere Herausforderungen bereithalten. In einigen Gesellschaften besteht weiterhin die Praxis der Polygamie und in einigen traditionellen Zusammenhängen die Sitte der „Stufenehe“. In anderen Kontexten hält sich die Praxis der arrangierten Ehen. In den Ländern, in denen die Präsenz der katholischen Kirche eine Minderheit darstellt, gibt es viele gemischtreligiöse und kultusverschiedene Ehen, mit all den Schwierigkeiten, welche diese hinsichtlich ihrer juristischen Form, der Taufe und Erziehung der Kinder sowie bezüglich des gegenseitigen Respekts im Hinblick auf die Verschiedenheit des Glaubens mit sich bringen. In diesen Ehen kann die Gefahr des Relativismus oder der Gleichgültigkeit gegeben sein, aber sie können auch eine Gelegenheit darstellen, den ökumenischen Geist und den interreligiösen Dialog in einem harmonischen Miteinander von Gemeinschaften, die am gleichen Ort leben, zu fördern. In vielen Bereichen, nicht nur im Westen, verbreitet sich weitgehend die Praxis des Zusammenlebens der Paare vor der Ehe oder auch das Zusammenleben ganz ohne die Absicht, eine institutionalisierte Bindung einzugehen. Dazu kommt oft eine zivile Gesetzgebung, welche Ehe und Familie gefährdet.  Auf Grund der Säkularisierung in vielen Teilen der Welt ist die Bezugnahme auf Gott stark zurückgegangen und der Glaube ist kein gesellschaftliches Gemeingut mehr.

8. Besonders in einigen Ländern werden viele Kinder außerhalb der Ehe geboren, und viele von ihnen wachsen dann mit nur einem Elternteil oder in einem erweiterten oder neugebildeten familiären Umfeld auf. Die Zahl der Scheidungen wächst, und nicht selten werden Entscheidungen allein von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt. Die Kinder sind häufig Streitobjekte ihrer Eltern und die wahren Opfer familiärer Zerwürfnisse. Gerade dort, wo es nötig wäre, dass sie klarer die Verantwortung für die Kinder und die Familie übernehmen, sind die Väter, nicht nur aus ökonomischen Gründen, häufig abwesend. Die Würde der Frau muss noch weiter verteidigt und gefördert werden. Vielfach ist in der Tat das Frau-Sein Grund für Diskriminierung und auch das Geschenk der Mutterschaft führt oft eher zu Nachteilen als dass es wertgeschätzt wird. Auch die zunehmenden Formen der Gewalt gegen Frauen, manchmal auch innerhalb der Familien, dürfen genauso wenig vergessen werden, wie die schlimme und in einigen Kulturen weit verbreitete Genitalverstümmelung der Frau. Schließlich ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern eine der skandalösesten und perversesten Wirklichkeiten der heutigen Gesellschaft. Auch die von kriegerischer Gewalt, Terrorismus oder organisierter Kriminalität heimgesuchten Gesellschaften erleben, dass sich die Lage der Familien verschlechtert. Vor allem in den großen Metropolen und ihren Randgebieten wächst das so genannte Phänomen der Straßenkinder. Auch die Migrationen stellen ein weiteres Zeichen der Zeit dar, das mit all seinen negativen Auswirkungen auf das Familienleben verstanden und angegangen werden muss.

Die Bedeutung des Gefühlslebens

9. Angesichts des skizzierten gesellschaftlichen Rahmens ist in vielen Teilen der Welt beim Einzelnen ein stärkeres Bedürfnis feststellbar, sich um die eigene Person zu kümmern, sich innerlich zu erforschen, besser im Einklang mit den eigenen Emotionen und Gefühlen zu leben, qualitätsvolle affektive Beziehungen zu suchen. Dieses gerechtfertigte Streben kann zu dem Wunsch führen, Beziehungen zu schaffen, die, wie jene der Familie, auf Hingabe und Gegenseitigkeit beruhen, kreativ, verantwortungsvoll und solidarisch sind.Die Gefahr des Individualismus und das Risiko, in egoistischer Weise zu leben, sind groß.Die Herausforderung für die Kirche besteht darin, den Paaren durch die Förderung des Dialogs, der Tugend, und des Vertrauens auf die barmherzige Liebe Gottesbei der Reifung der emotionalen Dimension und der affektiven Entwicklung zu helfen. Der volle Einsatz, den eine christliche Ehe erfordert, kann ein starkes Mittel gegen die Versuchung eines egoistischen Individualismus sein.

10. In der gegenwärtigen Welt fehlt es nicht an kulturellen Tendenzen, die eine Affektivität ohne Grenzen zu propagieren scheinen, von der sie alle Seiten, auch die komplexesten, erkunden wollen. Und so ist die Frage der Zerbrechlichkeit der Affektivität drängender denn je: eine narzisstische, instabile und veränderliche Affektivität, die dem Einzelnen nicht immer hilft, eine größere Reife zu erreichen. Eine gewisse Verbreitung der Pornographie und der Vermarktung des Körpers, die auch durch den Missbrauch des Internets begünstigt wird, gibt Anlass zur Besorgnis. Zu beklagen ist die Situation der Menschen, die zur Prostitution gezwungen werden. In diesem Gesamtkontext sind Paare manchmal unsicher, zögernd, und haben Mühe, Möglichkeiten zu finden, wie sie wachsen können. Viele neigen dazu, in frühen Stadien ihres Gefühls- und Sexuallebens stecken zu bleiben. Die Krise der Paarbeziehung destabilisiert die Familie und kann durch Trennungen und Scheidungen schwere Konsequenzen für Erwachsene, Kinder und die ganze Gesellschaft mit sich bringen, indem sie den Einzelnen und die sozialen Bindungen schwächt. Auch der durch eine geburtenfeindliche Mentalität und eine weltweite, verhütungsfördernde Politik hervorgerufene demographische Rückgang führt nicht nur zu einer Situation, in welcher der Generationswechsel nicht mehr gesichert ist, sondern mit der Zeit  auch zu dem Risiko einer wirtschaftlichen Verarmung und des Verlustes von Vertrauen in die Zukunft. Die Biotechnologien haben sich ebenfalls stark auf die Geburtenrate ausgewirkt.

Die Herausforderung für die Seelsorge

11. In diesem Zusammenhang spürt die Kirche die Notwendigkeit, ein Wort der Wahrheit und der Hoffnung zu sagen. Es gilt, von der Überzeugung auszugehen, dass der Mensch von Gott kommt und dass daher ein Nachdenken, das die großen Fragen über die Bedeutung des Menschseins neu stellt, angesichts der tiefen Erwartungen der Menschheit auf fruchtbaren Boden fallen kann. Die großen Werte der christlichen Ehe und Familie entsprechen jener Suche, welche die menschliche Existenz durchzieht, auch in einer von Individualismus und Hedonismus geprägten Zeit. Man muss die Menschen in ihrer konkreten Existenz annehmen, es verstehen, ihnen bei ihrer Suche beizustehen, sie in ihrer Sehnsucht nach Gott und in ihrem Wunsch, sich ganz als Teil der Kirche zu fühlen, ermutigen, auch jene, die eine Erfahrung des Scheiterns gemacht haben oder sich in verzweifelten Situationen befinden. Die christliche Botschaft enthält immer die Wirklichkeit und Dynamik der Barmherzigkeit und der Wahrheit, die in Christus zur Einheit geführt werden.

II. Teil
Der Blick auf Christus: Das Evangelium der Familie

Der Blick auf Jesus und die göttliche Pädagogik in der Heilsgeschichte

12.  Wenn wir «wirklich unsere Schritte auf dem Terrain der zeitgenössischen Herausforderungen verifizieren wollen, dann besteht die entscheidende Bedingung darin, den Blick fest auf Jesus Christus gerichtet zu halten, in der Kontemplation und Anbetung seines Antlitzes zu verweilen [...].Denn jedes Mal, wenn wir zur Quelle der christlichen Erfahrung zurückkehren, dann öffnen sich neue Wege und ungeahnte Möglichkeiten» (Papst Franziskus, Ansprache am 4.Oktober 2014). Jesus hat mit Liebe und Zärtlichkeit auf die Männer und Frauen geblickt, die ihm begegneten; als er die Erfordernisse des Gottesreiches verkündete, hat er ihre Schritte mit Wahrheit, Geduld und Barmherzigkeit begleitet.

13.  Weil die Schöpfungsordnung von der Orientierung auf Christus hin bestimmt ist, müssen wir die verschiedenen Grade unterscheiden, durch die Gott der Menschheit die Gnade seines Bundes vermittelt, ohne sie voneinander zu trennen. Auf Grund der göttlichen Pädagogik, entsprechend der sich die Schöpfungsordnung in aufeinander folgenden Schritten in die Erlösungsordnung verwandelt, muss das Neue am christlichen Ehesakrament in Kontinuität mit der natürlichen Ehe des Anfangs verstanden werden. Auf diese Weise erkennt man die Art des Heilshandelns Gottes, sowohl in der Schöpfung, als auch im christlichen Leben. In der Schöpfung: weil alles durch Christus und auf ihn hin geschaffen wurde (vgl. Kol 1,16), spüren die Christen «mit Freude und Ehrfurcht […] die Saatkörner des Wortes auf, die in ihr verborgen sind. Sie sollen aber auch den tiefgreifenden Wandlungsprozess wahrnehmen, der sich in diesen Völkern vollzieht» (Ad Gentes, 11). Im christlichen Leben: Insofern der Gläubige, vermittelt durch jene Hauskirche, die seine Familie ist, durch die Taufe in die Kirche eingefügt wird, tritt er ein in jenen «dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes» (Familiaris Consortio, 9), durch die beständige Umkehr zur Liebe, die von der Sünde erlöst und die Fülle des Lebens schenkt.

14. Jesus selbst bestätigt unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Absicht hinsichtlich des menschlichen Paares die unauflösliche Verbindung von Mann und Frau, auch wenn er sagt: «Nur, weil ihr so hartherzig seid, hat Mose erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so» (Mt 19,8). Die Unauflöslichkeit der Ehe („Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ Mt 19,6) ist nicht vor allem alsein dem Menschen auferlegtes „Joch“ zu verstehen, sondern alsein „Geschenk“ für die in der Ehe vereinten Menschen. Auf diese Weise zeigt Jesus, wie Gottes Entgegenkommen den Weg der Menschen immer begleitet, die verhärteten Herzen mit seiner Gnade heilt und verwandelt und sie über den Weg des Kreuzes auf ihren Ursprung hin ausrichtet. Aus den Evangelien geht klar das Beispiel Jesu hervor, das für die Kirche ein Paradigma ist. So hat Jesus eine Familie angenommen, hat seine Zeichenhandlungen bei der Hochzeit in Kana begonnen, hat die Botschaft von der Bedeutung der Ehe als Vollendung der Offenbarung verkündet, die den ursprünglichen Plan Gottes wieder herstellt (vgl. Mt 19,3). Doch gleichzeitig hat er die verkündigte Lehre in Taten umgesetzt und so die wahre Bedeutung der Barmherzigkeit dargelebt. Das geht deutlich aus den Begegnungen mit der Samaritanerin (vgl. Joh 4,1-30) und der Ehebrecherin (vgl. Joh 8,1-11) hervor, in denen Jesus in einer Haltung der Liebe gegenüber dem sündigen Menschen zu Reue und Umkehr führt („geh und sündige von nun an nicht mehr“), den Bedingungen für die Vergebung.

Die Familie im Heilsplan Gottes

15. Die Worte des ewigen Lebens, die Jesus seinen Jüngern hinterlassen hat, schließen die Lehre über Ehe und Familie ein. Diese Lehre Jesu lässt uns den Plan Gottes im Hinblick auf Ehe und Familie in drei grundlegenden Abschnitten erkennen. An seinem Beginn steht die Familie des Anfangs, als der Schöpfergott die ursprüngliche Ehe zwischen Adam und Eva als feste Grundlage der Familie stiftete. Gott hat den Menschen nicht nur als Mann und Frau geschaffen (vgl. Gen 1,27), sondern er hat sie auch gesegnet, damit sie fruchtbar seien und sich vermehren (vgl. Gen 1,28). Deshalb «verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch » (Gen 2,24). Diese Einheit wurde durch die Sünde beschädigt und wurde zur historischen Form der Ehe im Volk Gottes, dem Mose die Möglichkeit gab, einen Scheidungsbrief auszustellen (vgl. Dtn 24, 1ff). Dies war in der Zeit Jesu die übliche Praxis. Mit seiner Ankunft und mit der durch seinen Erlösertod bewirkten Versöhnung der gefallenen Welt ging die von Mose eingeleitete Ära zu Ende.

16.  Jesus, der alles in sich versöhnt hat, hat Ehe und Familie zu ihrer ursprünglichen Form zurückgeführt (vgl. Mk 10,1-12). Christus hat Ehe und Familie erlöst (vgl. Eph5,21-32) und nach dem Bild der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem Geheimnis, aus dem jede Liebe entstammt, wieder hergestellt. Der eheliche Bund, der in der Schöpfung grundgelegt und in der Heilsgeschichte offenbart wurde, erhält die volle Offenbarung seiner Bedeutung in Christus und in seiner Kirche. Ehe und Familie empfangen von Christus durch die Kirche die notwendige Gnade, um Gottes Liebe zu bezeugen und ein gemeinsames Leben zu leben. Das Evangelium der Familie zieht sich durch die Geschichte der Welt, von der Erschaffung des Menschen nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1, 26-27) bis zur Erfüllung des Geheimnisses des Bundes in Christus am Ende der Zeit mit dem Hochzeitsmahl des Lammes (vgl. Offb19,9; Johannes Paul II, Katechesen über die menschliche Liebe).

Die Familie in den Dokumenten der Kirche

17.  «Im Verlauf der Jahrhunderte hat es die Kirche nicht an der beständigen und vertieften Lehre über Ehe und Familie fehlen lassen. Eine der höchsten Ausdrucksformen dieses Lehramtes ist vom II. Vatikanischen Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes vorgelegt worden, die ein ganzes Kapitel der Förderung der Würde von Ehe und Familie widmet (vgl. Gaudium et Spes 47-52). Hier ist die Ehe als Gemeinschaft des Lebens und der Liebe definiert worden (vgl. Gaudium et Spes 48), wobei die Liebe in die Mitte der Familie gestellt und zugleich die Wahrheit dieser Liebe angesichts der verschiedenen Formen des Reduktionismus, wie sie in der heutigen Kultur gegenwärtig sind, gezeigt wird. Die „wahre Liebe zwischen Mann und Frau“ (Gaudium et Spes 49) umfasst die gegenseitige Hingabe seiner selbst, und schließt nach dem Plan Gottes auch die sexuelle Dimension und die Affektivität ein und integriert sie (vgl. Gaudium et Spes 48-49). Darüber hinaus unterstreicht Gaudium et Spes Nr. 48 die Verwurzelung der Brautleute in Christus: Christus, der Herr, „begegnet den christlichen Gatten im Sakrament der Ehe“ und bleibt bei ihnen. In der Menschwerdung nimmt Er die menschliche Liebe an, reinigt sie, bringt sie zur Vollendung, und schenkt den Brautleuten mit seinem Geist die Fähigkeit, sie zu leben, indem er ihr ganzes Leben mit Glaube, Hoffnung und Liebe durchdringt. Auf diese Weise werden die Brautleute gleichsam geweiht und bauen durch eine eigene Gnade den Leib Christi auf, indem sie so etwas wie eine Hauskirche bilden (vgl. Lumen Gentium 11). Daher schaut die Kirche, um ihr eigenes Geheimnis in Fülle zu verstehen, auf die christliche Familie, die es in unverfälschter Weise darlebt» (Instrumentum Laboris, 4).

18.  «Auf der Linie des II. Vatikanischen Konzils hat das päpstliche Lehramt die Leher über Ehe und Familie vertieft. Besonders Paul VI. hat, mit der Enzyklika Humanae vitae, das innere Band zwischen der ehelichen Liebe und der Weitergabe des Lebens ins Licht gehoben. Der Hl. Johannes Paul II. hat der Familie durch seine Katechesen über die menschliche Liebe, den Brief an die Familien (Gratissimam sane) und vor allem durch das Apostolische Schreiben Familiaris Consortio eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In diesen Dokumenten hat der Papst die Familie als den „Weg der Kirche“ bezeichnet, und eine Gesamtschau der Berufung des Mannes und der Frau zur Liebe dargeboten. Zugleich hat er die Grundlinien der Familienpastoral und eine Pastoral im Hinblick auf die Gegenwart der Familie in der Gesellschaft vorgelegt. Vor allem hat er, im Zusammenhang mit der „ehelichen Liebe“ (vgl. Familiaris Consortio 13), die Art und Weise beschrieben, in der die Eheleute in ihrer gegenseitigen Liebe die Gabe des Geistes Christi empfangen und ihre Berufung zur Heiligkeit leben» (Instrumentum Laboris, 5).

19. «In der Enzyklika Deus caritas est hat Papst Benedikt das Thema der Wahrheit der Liebe zwischen Mann und Frau wieder aufgegriffen, das erst im Licht der Liebe des gekreuzigten Christus vollkommen deutlich wird (vgl. Deus Caritas est 2). Der Papst unterstreicht: „Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe“ (Deus Caritas est 11). Darüber hinaus unterstreicht er in der Enzyklika Caritas in veritate die Bedeutung der Liebe als Prinzip des Lebens in der Gesellschaft (vgl. Caritas in Veritate 44), dem Ort, an dem man die Erfahrung des Gemeinwohls macht» (Instrumentum Laboris, 6).

20. «In der Enzyklika Lumen Fidei schreibt Papst Franziskus über den Zusammenhang von Familie und Glauben: „Christus zu begegnen und sich von seiner Liebe ergreifen und führen zu lassen weitet den Horizont des Lebens und gibt ihm eine feste Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche“ (Lumen Fidei, 53)» (Instrumentum Laboris, 7).

Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Freude des Zusammenlebens

21.  Das gegenseitige Geschenk, welches für die sakramentale Ehe grundlegend ist, hat seinen Ursprung in der Gnade der Taufe, die den Bund jedes Menschen mit Christus in der Kirche begründet. In der gegenseitigen Annahme und mit der Gnade Christi versprechen sich die Eheleute vollkommene Hingabe, Treue und Offenheit für das Leben. Sie erkennen die Gaben, die Gott ihnen schenkt, als konstitutive Elemente der Ehe an und nehmen ihre gegenseitige Verpflichtung in seinem Namen und gegenüber der Kirche ernst. Im Glauben ist es dann möglich, die Güter der Ehe als Aufgabe anzunehmen, die durch die Gnade des Sakramentes besser erfüllt werden kann. Gott heiligt die Liebe der Eheleute und bestätigt ihre Unauflöslichkeit, indem er ihnen hilft, die Treue, die gegenseitige Ergänzung und die Offenheit für das Leben zu leben. Deshalb blickt die Kirche auf die Eheleute als das Herz der ganzen Familie, die ihrerseits ihren Blick auf Jesus richtet.

22.  In derselben Perspektive machen wir uns die Lehre des Apostels zu eigen, nach der die ganze Schöpfung in Christus und im Hinblick auf ihn gedacht wurde (vgl. Kol 1,16). So wollte das II. Vatikanische Konzil seine Wertschätzung für die natürliche Ehe und die wertvollen Elemente, die in den anderen Religionen (vgl. Nostra Aetate, 2) und Kulturen, ungeachtet ihrer Grenzen und Unzulänglichkeiten (vgl. Redemptoris Missio, 55) vorhanden sind, zum Ausdruck bringen. Das Vorhandensein der „semina Verbi” in den Kulturen (vgl. Ad Gentes, 11) könnte teilweise auch auf die Realität von Ehe und Familie  in vielen Kulturen und bei den Nichtchristen angewandt werden. Es gibt also auch wertvolle Elemente in einigen Formen außerhalb der christlichen Ehe – solange sie auf der dauerhaften und wahrhaftigen Beziehung zwischen Mann und Frau gründen –, die wir in jedem Fall als darauf hin orientiert betrachten. Im Blick auf die menschliche Weisheit der Völker und Kulturen erkennt die Kirche auch diese Familien als notwendige und fruchtbare Grundzellen des menschlichen Zusammenlebens an.

Wahrheit und Schönheit der Familie und Barmherzigkeit gegenüber den verletzten und schwachen Familien

23.  Mit innerer Freude und tiefem Trost blickt die Kirche auf die Familien, die den Lehren des Evangeliums treu bleiben. Sie dankt ihnen für ihr Zeugnis und ermutigt sie darin. Durch sie werden die Schönheit der unauflöslichen Ehe und ihre immer dauernde Treue glaubwürdig. In der Familie, die man als „Hauskirche“ bezeichnen könnte (Lumen Gentium, 11), reift die erste kirchliche Erfahrung der Gemeinschaft unter den Menschen, in der sich durch die Gnade das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit spiegelt.«Hier lernt man Ausdauer und Freude an der Arbeit, geschwisterliche Liebe, großmütiges, ja wiederholtes Verzeihen und vor allem den Dienst Gottes in Gebet und Hingabe des Lebens» (Katechismus der Katholischen Kirche, 1657). Die Heilige Familie von Nazareth ist dafür ein wunderbares Vorbild. In ihrer Schule «verstehen wir, warum wir eine geistliche Disziplin halten müssen, wenn wir der Lehre des Evangeliums Jesu folgen und Jünger Christi werden wollen» (Paul VI, Ansprache in Nazareth, 5.Januar 1964).Das Evangelium der Familie nährt auch jene Samen, die noch nicht reif sind, und muss jene Bäume pflegen, die ausgedörrt sind und nicht vernachlässigt werden dürfen.

24.  Als verlässliche Lehrerin und fürsorgliche Mutter ist sich die Kirche – obwohl sie anerkennt, dass es für die Getauften kein anderes als das sakramentale Eheband gibt und dass jeder Bruch desselben Gottes Willen zuwiderläuft – auch der Schwäche vieler ihrer Kinder bewusst, die sich auf dem Weg des Glaubens schwer tun. «Daher muss man, ohne den Wert des vom Evangelium vorgezeichneten Ideals zu mindern, die möglichen Wachstumsstufen der Menschen, die Tag für Tag aufgebaut werden, mit Barmherzigkeit und Geduld begleiten. […] Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen. Alle müssen von dem Trost und dem Ansporn der heilbringenden Liebe Gottes erreicht werden, der geheimnisvoll in jedem Menschen wirkt, jenseits seiner Mängel und Verfehlungen» (Evangelii Gaudium, 44).

25. Einer pastoralen Zugehensweise entsprechend ist es Aufgabe der Kirche, jenen, die nur zivil verheiratet oder geschieden und wieder verheiratet sind oder einfach so zusammenleben, die göttliche Pädagogik der Gnade in ihrem Leben offen zu legen und ihnen zu helfen, für sich die Fülle des göttlichen Planes zu erreichen. Dem Blick Christi folgend, dessen Licht jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9; Gaudium et Spes, 22) wendet sich die Kirche liebevoll jenen zu, die auf unvollendete Weise an ihrem Leben teilnehmen. Sie erkennt an, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben wirkt, und ihnen den Mut schenkt, das Gute zu tun, um liebevoll füreinander zu sorgen und ihren Dienst für die Gemeinschaft, in der sie leben und arbeiten, zu erfüllen.

26. Die Kirche blickt mit Sorge auf das Misstrauen vieler junger Menschen gegenüber dem Eheversprechen. Sie leidet unter der Voreiligkeit, mit der viele Gläubige sich entscheiden, dem eingegangenen Bund ein Ende zu setzen und einen neuen eingehen. Diese Gläubigen, die zur Kirche gehören, brauchen eine barmherzige und ermutigende seelsorgliche Zuwendung, wobei die jeweiligen Situationen angemessen zu unterscheiden sind. Die jungen Getauften sollen ermutigt werden, nicht zu zaudern angesichts des Reichtums, den das Ehesakrament ihrem Vorhaben von Liebe schenkt, gestärkt vom Beistand der Gnade Christi und der Möglichkeit, ganz am Leben der Kirche teilzunehmen.

27. In diesem Sinn besteht für die heutige Familienpastoral eine neue Dimension darin, der Realität der Zivilehe zwischen Mann und Frau, den Ehen gemäß älteren kulturellen Bräuchen und – bei aller gebührenden Unterscheidung – auch den unverheiratet zusammenlebenden Paaren ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn eine Verbindung durch ein öffentliches Band offenkundig Stabilität erlangt, wenn sie geprägt ist von tiefer Zuneigung, Verantwortung gegenüber den Kindern, von der Fähigkeit, Prüfungen zu bestehen, kann dies als Anlass gesehen werden, sie auf ihrem Weg zum Ehesakrament zu begleiten. Doch sehr oft fällt die Entscheidung für das Zusammenleben ohne jede Absicht einer institutionellen Bindung und nicht im Hinblick auf eine mögliche zukünftige Ehe.

28.  In Übereinstimmung mit dem barmherzigen Blick Jesu, muss die Kirche ihre schwächsten Kinder, die unter verletzter und verlorener Lebe leiden aufmerksam und fürsorglich begleiten und ihnen Vertrauen und Hoffnung geben. Wie das Licht eines Leuchtturms im Hafen oder einer Fackel, die unter die Menschen gebracht wird, um jene zu erleuchten, die die Richtung verloren haben oder sich in einem Sturm befinden. Im Bewusstsein, dass die größte Barmherzigkeit darin besteht, mit Liebe die Wahrheit zu sagen, geht es uns um mehr als Mitleid. Wie die barmherzige Liebe anzieht und vereint, so verwandelt und erhebt sie auch. Sie lädt zur Umkehr ein. Auf diese Art und Weise verstehen wir auch die Haltung des Herrn, der die Ehebrecherin nicht verurteilt, sondern sie auffordert, nicht mehr zu sündigen (vgl. Gv 8,1-11).

 

III.Teil
Die Auseinandersetzung: Pastorale Perspektiven

Das Evangelium der Familie heute in den unterschiedlichen Kontexten verkünden

29.  Der synodale Dialog hat sich mit einigen dringlicheren pastoralen Anliegen befasst, die in Gemeinschaft „cum Petro et sub Petro“ der Konkretisierung in den einzelnen Ortskirchen anzuvertrauen sind. Die Verkündigung des Evangeliums der Familie stellt für die neue Evangelisierung eine Dringlichkeit dar. Die Kirche ist dazu aufgerufen, diese Verkündigung mit der Zärtlichkeit einer Mutter und der Klarheit einer Lehrmeisterin (vgl. Eph 4,15) durchzuführen, in Treue zur barmherzigen Entäußerung Christi. Die Wahrheit nimmt in der menschlichen Schwachheit Fleisch an, nicht um sie zu richten, sondern um sie zu retten (vgl. Joh 3,16 -17).

30.  Die Evangelisierung ist eine Verantwortung des ganzen Gottesvolkes, eines Jeden nach seinem eigenen Dienst und Charisma. Ohne das freudige Zeugnis der Eheleute und der Familien, der Hauskirchen, läuft die Verkündigung – auch, wenn sie konkret ist – Gefahr, unverständlich zu bleiben oder im Meer der Worte, das unsere Gesellschaft kennzeichnet, unterzugehen (vgl. Novo Millennio Ineunte, 50). Die Synodenväter haben mehrfach unterstrichen, dass die katholischen Familien aus der Kraft der Gnade des Ehesakramentes dazu berufen sind, selbst Subjekte der Familienpastoral zu werden.

31.  Es wird entscheidend sein, den Primat der Gnade hervorzuheben und damit die Möglichkeiten, die der Geist im Sakrament schenkt. Es geht darum, erfahrbar zu machen, dass das Evangelium der Familie Freude ist, die «das Herz und das gesamte Leben erfüllt», weil wir in Christus «von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung» befreit sind (Evangelii Gaudium, 1). Im Lichte des Gleichnisses vom Sämann (vgl. Mt 13,3-9), ist es unsere Aufgabe, an der Aussaat mitzuarbeiten. Alles andere ist das Werk Gottes. Man darf auch nicht vergessen, dass die Kirche, die über die Familie predigt, Zeichen des Widerspruchs ist.

32. Deshalb ist von der ganzen Kirche eine missionarische Umkehr gefordert: Man darf nicht bei einer rein theoretischen, von den wirklichen Problemen der Menschen losgelösten Verkündigung stehen bleiben. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Krise des Glaubens zu einer Krise der Ehe und der Familie geführt hat, und als Konsequenz oft die Weitergabe des Glaubens von den Eltern an die Kinder unterbrochen wurde. Angesichts eines starken Glaubens können sich kulturelle Ansichten, die Familie und Ehe schwächen, nicht durchsetzen.

33. Damit die Umkehr wirklich an Bedeutung gewinnt, umfasst sie auch die Sprache. Die Verkündigung muss erfahrbar machen, dass das Evangelium der Familie die Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen darstellt: Auf seine Würde und auf die vollkommene Verwirklichung in der Gegenseitigkeit, in der Gemeinschaft und in der Fruchtbarkeit. Es geht nicht allein darum, Normen vorzulegen, sondern Werte anzubieten, und damit auf eine Sehnsucht nach Werten zu antworten, die heute selbst in den säkularisiertesten Ländern festzustellen ist.

34. Das Wort Gottes ist Quelle des Lebens und der Spiritualität der Familie. Die betrachtende Lesung der Heiligen Schrift in Gemeinschaft mit der Kirche muss die Familienpastoral innerlich formen und die Mitglieder der Hauskirche bilden. Das Wort Gottes ist nicht nur eine frohe Botschaft für das Privatleben der Menschen, sondern auch ein Urteilskriterium und ein Licht der Unterscheidung der verschiedenen Herausforderungen, mit denen sich die Eheleute und Familien auseinandersetzen.

35. Zugleich haben viele Synodenväter auf einem positiven Zugang zu den Reichtümern der unterschiedlichen religiösen Erfahrungen bestanden, ohne die Schwierigkeiten zu verschweigen. In diesen unterschiedlichen religiösen Wirklichkeiten und der großen kulturellen Verschiedenheit, welche die Nationen prägt, ist es angemessen, zunächst die positiven Möglichkeiten zu würdigen und in ihrem Licht die Grenzen und Mängel zu bewerten.

36.  Die christliche Ehe ist eine Berufung, die man durch eine angemessene Vorbereitung auf einem Glaubensweg und mit einer reifen Urteilsfähigkeit annimmt. Sie darf nicht nur als kulturelle Tradition oder als soziale und rechtliche Anforderung verstanden werden. Deshalb muss man Wege entdecken, um die Einzelnen und das Paar so zu begleiten, dass sich die Vermittlung der Glaubensinhalte mit der Lebenserfahrung verbindet, welche die gesamte Gemeinschaft der Kirche anbietet.

37.  Immer wieder wurde an die Notwendigkeit einer radikalen Erneuerung der pastoralen Praxis im Licht des Evangeliums der Familie erinnert, um die individualistischen Sichtweisen zu überwinden, die sie derzeit noch kennzeichnen. Deshalb wurde mehrfach auf eine Erneuerung der Ausbildung von Priestern, Diakonen, Katecheten und anderen Mitarbeitern in der Seelsorge beharrt, welche durch eine stärkere Einbeziehung der Familien geschehen könnte.

38. In gleicher Weise wurde die Notwendigkeit einer Evangelisierung unterstrichen, die offen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konditionierungen, wie den zügellosen Einfluss der Logik des Marktes anprangert, welche ein authentisches Familienleben verhindern und Diskriminierungen, Armut, Ausgrenzung und Gewalt hervorrufen. Deshalb muss ein Dialog und eine Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Strukturen entwickelt werden, und es gilt, jene Laien zu ermutigen und zu unterstützen, die sich als Christen im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich engagieren.

Die Brautleute auf dem Weg der Vorbereitung zur Ehe führen

39. Die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit und die Herausforderungen, mit denen sich die Familien auseinandersetzen müssen, erfordern einen größeren Einsatz der ganzen christlichen Gemeinde im Hinblick auf die Vorbereitung der Brautleute auf die Ehe. Dazu ist es notwendig, an die Bedeutung der Tugenden zu erinnern. Unter ihnen erweist sich die Keuschheit als wertvolle Voraussetzung für ein echtes Wachstum der zwischenmenschlichen Liebe. Bezüglich dieser Erfordernis stimmen die Synodenväter darin überein, die Notwendigkeit des Einbezuges der ganzen Gemeinde hervorzuheben und das Zeugnis der Familien selbst zu begünstigen. Ferner sollte die Ehevorbereitung auf dem Weg der christlichen Initiation verankert werden, indem die Verbindung zwischen Ehe und Taufe und den anderen Sakramenten betont wird. Zugleich wurde die Notwendigkeit besonderer Kurse zur unmittelbaren Vorbereitung der Eheschließung betont, die eine wirkliche Erfahrung der Teilnahme am kirchlichen Leben sein sollen und die unterschiedlichen Aspekte des Familienlebens vertiefen.

Die ersten Jahre des Ehelebens begleiten

40.  Die ersten Jahre der Ehe sind ein wesentlicher und heikler Zeitabschnitt, während dessen die Paare im Bewusstsein der Herausforderung und der Bedeutung der Ehe wachsen. Hieraus ergibt sich das Erfordernis einer pastoralen Begleitung, die nach der Feier des Sakramentes fortgesetzt wird (vgl. Familiaris Consortio, III. Teil). Bei dieser Pastoral ist die Anwesenheit erfahrener Ehepaare von großer Bedeutung. Die Pfarrei wird als der Ort verstanden, an dem erfahrene Paare jüngeren zur Verfügung stehen können, möglicherweise unter Mithilfe von Vereinigungen, kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften. Brautleute sollen zu der grundlegenden Haltung ermutigt werden, Kinder als ein großes Geschenk anzunehmen. Dabei gilt es, die Bedeutung der Spiritualität der Familie, des Gebetes und der Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistie zu unterstreichen. Die Paare sollen ermutigt werden, sich regelmäßig zu treffen, um das Wachstum des geistlichen Lebens sowie die Solidarität in den konkreten Herausforderungen des Lebens zu fördern. Die Liturgie, Übungen der Frömmigkeit und die Eucharistie für die Familien, vor allem am Hochzeitstag, wurden als wichtig zur Förderung der Evangelisierung durch die Familien erwähnt.

Seelsorge für jene, die in einer Zivilehe oder ohne Trauschein zusammenleben

41.  Während die Synode weiterhin die christliche Ehe verkündet und fördert, ermutigt sie zugleich zu einer pastoralen Unterscheidung der Situationen vieler Menschen, die diese Wirklichkeit nicht mehr leben. Es ist wichtig, in einen pastoralen Dialog mit diesen Menschen zu treten, um jene Elemente in ihrem Leben hervorzuheben, die zu einer größeren Offenheit gegenüber dem Evangelium der Ehe in seiner Fülle führen können. Die Hirten müssen jene Elemente erkennen, welche die Evangelisierung und das menschliche und geistliche Wachstum fördern können. Eine neue Sensibilität der heutigen Pastoral besteht darin, jene positiven Elemente zu erfassen, die in Zivilehen und – bei gebührender Unterscheidung – im Zusammenleben ohne Trauschein vorhanden sind.Es ist angebracht, dass wir im Angebot der Kirche, das mit Klarheit die christliche Botschaft verkündet, auch auf die konstitutiven Elemente in jenen Situationen hinweisen, die ihr noch nicht oder nicht mehr entsprechen.

42.  Es wurde darauf hingewiesen, dass in vielen Ländern eine «steigende Zahl von Paaren ad experimentum zusammenleben, ohne kirchliche oder zivile Trauung» (Instrumentum Laboris, 81). In einigen Ländern geschieht dies vor allem in traditionellen Ehen, die unter Familien vereinbart und oft in verschiedenen Stufen geschlossen werden. In anderen Ländern wächst hingegen die Zahl derer, die nach einem langen Zusammenleben um die Feier der kirchlichen Trauung bitten. Das einfache Zusammenleben wird oft auf Grund der allgemeinen Mentalität gewählt, die sich gegen Institutionen und endgültige Verpflichtungen wendet, aber auch in Erwartung einer existentiellen Sicherheit (Arbeit und festes Einkommen). Schließlich sind die faktischen Verbindungen in anderen Ländern sehr zahlreich, nicht nur, weil die Werte der Familie und der Ehe zurückgewiesen werden, sondern vor allem, weil dort die Heirat aus gesellschaftlichen Gründen als Luxus betrachtet wird, so dass die materielle Not die Menschen zu solchen faktischen Verbindungen drängt.

43.  All diese Situationen müssen in konstruktiver Weise angegangen werden, indem versucht wird, sie in Gelegenheiten für einen Weg hin zur Fülle der Ehe und der Familie im Licht des Evangeliums zu verwandeln. Es geht darum, sie mit Geduld und Feingefühl anzunehmen und zu begleiten. Dabei ist das attraktive Zeugnis authentischer christlicher Familien als Subjekt der Evangelisierung der Familie wichtig.

Die verwundeten Familien heilen (Getrenntlebende, nicht wiederverheiratete Geschiedene, wiederverheiratet Geschiedene, Alleinerziehende)

44.  Wenn die Eheleute in ihren Beziehungen Schwierigkeiten begegnen, müssen sie auf die Hilfe und Begleitung der Kirche zählen können. Die Pastoral der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit sind darauf ausgerichtet, Menschen wieder aufzurichten und Beziehungen wiederherzustellen. Die Erfahrung zeigt, dass ein großer Prozentsatz der Ehekrisen durch eine angemessene Hilfe und die versöhnende Kraft der Gnade in zufriedenstellender Weise überwunden werden. Vergeben können und Vergebung erfahren ist eine grundlegende Erfahrung des Familienlebens. Die gegenseitige Vergebung der Eheleute erlaubt es, eine Liebe zu erfahren, die für immer ist und nie vergeht (vgl. 1 Kor 13,8). Manchmal fällt es aber dem, der die Vergebung Gottes empfangen hat, schwer, selbst die Kraft zu einer aufrichtigen Vergebung aufzubringen, die den Menschen erneuert.

45. Auf der Synode wurde die Notwendigkeit mutiger pastoraler Entscheidungen deutlich. Die Synodenväter haben nachdrücklich die Treue zum Evangelium der Familie bekräftigt und anerkannt, dass Trennung und Scheidung stets eine Verwundung darstellen, welche den betroffenen Paaren und den Kindern tiefes Leid zufügt. So sehen die Synodenväter die Dringlichkeit neuer pastoraler Wege, die von der tatsächlichen Realität der Zerbrechlichkeit der Familie ausgehen, im Wissen darum, dass Trennung und Scheidung oft eher mit Schmerz „erlitten“, als aus freien Stücken gewählt werden. Es handelt sich um unterschiedliche Situationen sowohl auf Grund persönlicher als auch kultureller und sozioökonomischer Faktoren. Das verlangt einen differenzierten Blick, wie es der hl. Johannes Paul II empfohlen hat (vgl. Familiaris Consortio, 84).

46. Jede Familie muss vor allem mit Respekt und Liebe angehört werden, indem man sich zum Weggefährten macht, wie Christus mit den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Für diese Situationen gelten in besonderer Weise die Worte von Papst Franziskus: «Die Kirche wird ihre Glieder – Priester, Ordensleute und Laien – in diese „Kunst der Begleitung” einführen müssen, damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex 3,5). Wir müssen unserem Wandel den heilsamen Rhythmus der Zuwendung geben, mit einem achtungsvollen Blick voll des Mitleids, der aber zugleich heilt, befreit und zum Reifen im christlichen Leben ermuntert.» (Evangelii Gaudium, 169).

47. Ein besonderes Urteilvermögen ist unerlässlich, um die Getrenntlebenden, die Geschiedenen und die Verlassenen pastoral zu begleiten. Vor allem muss das Leid derer angenommen und geachtet werden, die ungerechter Weise Trennung oder Scheidung erlitten haben, die verlassen wurden oder wegen Misshandlungen des Ehepartners gezwungen waren, das Zusammenleben aufzugeben. Die Vergebung des erlittenen Unrechts ist nicht einfach, sie istaber ein Weg, den die Gnade möglich macht. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Pastoral der Versöhnung und der Mediation, auch durch besondere Beratungsstellen, die in den Diözesen einzurichten sind. In gleicher Weise muss stets betont werden, dass es unerlässlich ist, sich in aufrichtiger und konstruktiver Weise um die Folgen der Trennung oder der Scheidung für die Kinder zu kümmern, die in jedem Fall unschuldige Opfer der Situation sind. Sie dürfen nicht zum „Streitobjekt“ werden; stattdessen gilt es, die besten Wege zu finden, damit sie das Trauma der familiären Spaltung überwinden und möglichst unbeschwert aufwachsen können. In jedem Fall wird die Kirche immer das Unrecht hervorheben müssen, das sehr oft aus der Situation der Scheidung entsteht. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der Begleitung der Alleinerziehenden. Vor allem müssen Frauen unterstützt werden, die allein die Verantwortung für den Haushalt und die Kindererziehung zu tragen haben.

48. Eine große Zahl der Synodenväter hat die Notwendigkeit unterstrichen, die Verfahren zur Anerkennung der Nichtigkeit einer Ehe zugänglicher und schneller zu gestalten, und möglicherweise ganz auf Gebühren zu verzichten. Dazu werden u.a. folgende Vorschläge gemacht: Die Notwendigkeit zweier gleichlautender Urteile aufzugeben; die Möglichkeit, einen Verwaltungsweg unter Verantwortung des Diözesanbischofs festzulegen; ein verkürztes Verfahren, das bei Fällen offenkundiger Nichtigkeit anzuwenden wäre. Einige Synodenväter haben sich dennoch gegen diese Vorschläge ausgesprochen, weil sie kein verlässliches Urteil garantieren würden. Es muss betont werden, dass es in all diesen Fällen darum geht, die Wahrheit über die Gültigkeit des Ehebundes zu ermitteln. Anderen Vorschlägen zufolge sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, mit Blick auf die Gültigkeit des Ehesakramentes der Rolle des Glaubens der Brautleute Gewicht zu verleihen, ohne dadurch infrage zu stellen, dass unter Getauften alle gültigen Ehen Sakrament sind.

49. Mit Blick auf eine von vielen geforderte Straffung des Eheprozesses muss neben der Ausbildung ausreichender Mitarbeiter – Kleriker und Laien –, die sich dieser Aufgabe vorrangig widmen, die Verantwortung des Diözesanbischofs betont werden. Er könnte in seiner Diözese entsprechend vorbereitete Berater beauftragen, welche die Parteien über die Gültigkeit ihrer Ehe unentgeldlich beraten. Diese Aufgabe könnten ein Amt oder qualifizierte Personen übernehmen (vgl. Dignitas Connubii, Art. 113, 1).

50. Nicht wiederverheiratete Geschiedene, die oft Zeugen der ehelichen Treue sind, werden ermutigt, in der Eucharistie die Nahrung zu finden, die sie in ihrer Lebensform stärkt. Die Gemeinde vor Ort und die Hirten müssen diese Menschen fürsorglich begleiten, vor allem wenn Kinder vorhanden sind, oder sie unter schwerer Armut leiden.

51.  Auch die Situationen der wiederverheirateten Geschiedenen verlangen eine aufmerksame Unterscheidung und von großem Respekt gekennzeichnete Begleitung, die jede Ausdrucksweise und Haltung vermeidet, die sie als diskriminierend empfinden könnten. Stattdessen sollte ihre Teilnahme am Leben der Gemeinschaft gefördert werden. Diese Fürsorge bedeutet für das Leben der christlichen Gemeinschaft keine Schwächung ihres Glaubens und ihres Zeugnisses im Hinblick auf die Unauflöslichkeit der Ehe. Im Gegenteil, sie bringt gerade in dieser Fürsorge ihre Nächstenliebe zum Ausdruck.

52.  Es wurde über die Möglichkeit nachgedacht, wiederverheiratete Geschiedene zum Sakrament der Buße und der Eucharistie zuzulassen. Mehrere Synodenväter haben auf Grund der konstitutiven Beziehung zwischen der Teilnahme an der Eucharistie und der Gemeinschaft mit der Kirche und ihrer Lehre über die Unauflöslichkeit der Ehe auf der derzeitigen Regelung bestanden. Andere haben sich für eine nicht zu verallgemeinernde Zulassung an den Tisch der Eucharistie ausgesprochen – und zwar in einigen besonderen Situationen und unter genau festgelegten Voraussetzungen, vor allem wenn es sich um unumkehrbare Fälle handelt, die mit moralischen Verpflichtungen gegenüber den Kindern einhergehen, die ungerechtem Leid ausgesetzt würden. Einem möglichen Zugang zu den Sakramenten müsste unter der Verantwortung des Diözesanbischofs ein Weg der Buße vorausgehen. Diese Frage gilt es aber noch zu vertiefen, wobei die Unterscheidung zwischen einem objektiven Zustand der Sünde und mildernden Umständen genau zu bedenken ist, da «die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für sie […] durch […] psychische oder gesellschaftliche Faktoren gemindert, ja sogar aufgehoben sein» könnte (Katechismus der Katholischen Kirche, 1735).

53. Einige Synodenväter waren der Ansicht, dass wiederverheiratete oder mit einem Partner zusammenlebende Geschiedene in fruchtbarer Weise an der geistlichen Kommunion teilhaben können.Andere Synodenväter stellten daraufhin die Frage, warum sie dann keinen Zugang zur sakramentalen Kommunion erhalten könnten.Es wird also eine Vertiefung dieser Thematik gefordert, um so die Eigenart der beiden Formen und ihre Verbindung zur Ehetheologie herauszuarbeiten.

54. Die Probleme bezüglich der Mischehen kamen bei den Beiträgen der Synodenväter immer wieder zur Sprache. Die Verschiedenheit des Eherechts der orthodoxen Kirche führt in einige Zusammenhängen zu Problemen, über die in der Ökumene nachgedacht werden muss. Analog wird für interreligiöse Ehen der Beitrag des interreligiösen Dialogs bedeutsam.

Die pastorale Aufmerksamkeit gegenüber Personen mit homosexueller Orientierung

55. Einige Familien machen die Erfahrung, dass in ihrer Mitte Menschen mit homosexueller Orientierung leben. Diesbezüglich hat man sich gefragt, welche pastorale Aufmerksamkeit in diesen Fällen angemessen ist, indem man sich auf das bezog, was die Kirche lehrt: « Es gibt keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.»Dennoch müssen Frauen und Männer mit homosexuellen Tendenzen mit Achtung und Feingefühl aufgenommen werden. «Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen.» (Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen, 4).

56.            Es ist vollkommen unannehmbar, dass auf die Hirten der Kirche in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen gegenüber armen Ländern davon abhängig machen, dass sie in ihrer Gesetzgebung eine „Ehe“ unter Personen des gleichen Geschlechts einführen.

Die Weitergabe des Lebens und die Herausforderung des Geburtenrückgangs

57. Es ist nicht schwer, festzustellen, dass sicheine Mentalität ausbreitet, welche die Weitergabe des Lebens auf eine Variable in der Planung eines Einzelnen oder eines Paares verkürzt. Die wirtschaftlichen Faktoren üben manchmal ein entscheidendes Gewicht aus und tragen zum starken Geburtenrückgang bei, der das soziale Netzwerk schwächt, die Beziehungen unter den Generationen beeinträchtigt und den Blick in die Zukunft unsicher macht. Die Offenheit für das Leben ist ein Erfordernis, das der eheliche Liebe innewohnt. In diesem Licht unterstützt die Kirche die Familien, die behinderte Kinder aufnehmen, erziehen und mit ihrer Liebe umfangen.

58.  Auch auf diesem Gebiet muss man davon ausgehen, was die Menschen sagen, und die Schönheit und Wahrheit einer vorbehaltlosen Offenheit gegenüber dem Leben als das darstellen und begründen, dessen die menschliche Liebe bedarf, um in ihrer Fülle gelebt zu werden. Auf diese Grundlage kann sich eine angemessene Lehre über die natürlichen Methoden für eine verantwortliche Fortpflanzung stützen. Sie verhilft dazu, die Gemeinschaft unter den Ehepartnern in all ihren Dimensionen und mit generativen Verantwortung harmonisch und bewusst zu leben. Es gilt, die Botschaft der Enzyklika Humanae Vitae Papst Paul VI. wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss. Die Adoption verwaister und vernachlässigter Kinder ist eine besondere Form des Familienapostolates (vgl. Apostolicam Actuositatem, 11), worauf das Lehramt mehrfach hingewiesen und wozu es ermutigt hat (vgl. Familiaris Consortio, 41; Evangelium Vitae, 93). Die Entscheidung zur Adoption oder Pflegschaft bringt eine besondere Fruchtbarkeit der ehelichen Erfahrung zum Ausdruck, nicht nur, wenn sie von Unfruchtbarkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Entscheidung ist ein eindrucksvolles Zeichen der familiären Liebe. Sie erlaubt es, den eigenen Glauben zu bezeugen und denen die Würde des Kindseins zurückzugeben, die sie verloren haben.

59.  Es gilt, auch im Band der Ehe die Affektivität als Weg der Reifung zu leben, in der immer tieferen Annahme des Anderen und einer immer vollkommeneren Hingabe. In diesem Zusammenhang muss die Notwendigkeit bekräftigt werden, Wege der Bildung anzubieten, die das eheliche Leben stärken. Daneben braucht es Laien, die durch ihr lebendiges Zeugnis Begleitung anbieten. Eine große Hilfe ist dabei das Beispiel einer treuen und tiefen Liebe, die geprägt ist von Zärtlichkeit und Achtung, die fähig ist, mit der Zeit zu wachsen und die in ihrer konkreten Offenheit gegenüber der Weitergabe des Lebens die Erfahrung eines Geheimnisses macht, das uns übersteigt.

Die Herausforderung der Erziehung und die Rolle der Familie bei der Evangelisierung

60.  Eine der grundlegenden Herausforderungen, vor der die heutigen Familien stehen, ist sicherlich die Erziehung, welche durch die aktuelle kulturelle Wirklichkeit und den großen Einfluss der Medien noch anspruchsvoller und komplexer gemacht wird.Dabei gilt es, die Bedürfnisse und Erwartungen der Familie gebührend zu berücksichtigen, die in der Lage sind, im Alltag Orte des Wachstums und der konkreten und grundlegenden Weitergabe jener Tugenden zu sein, die dem Dasein Gestalt verleihen. Das bedeutet, dass Eltern die Freiheit haben müssen, ihren Kindern die Art von Erziehung zu vermitteln, die ihren Überzeugungen entspricht.

61. Die Kirche hat, ausgehend von der christlichen Initiation und durch aufnahmebereite Gemeinschaften im Hinblick auf die Unterstützung der Familien eine wichtige Rolle. Sie ist mehr denn je gefordert, die Eltern in den alltäglichen wie in den komplexen Situationen bei der Aufgabe der Erziehung zu unterstützen und die Kinder und Jugendlichen in ihrem Wachstum auf personalisierten Wegen zu begleiten, die in der Lage sind, sie in den umfassenden Sinn des Lebens einzuführen und ihnen Entscheidungen und die Übernahme von Verantwortung zu ermöglichen, die im Lichte des Evangeliums gelebt werden. Maria kann in ihrer Zärtlichkeit, Barmherzigkeit und mütterlichen Liebe den Hunger nach Menschlichkeit und Leben stillen. Deshalb wird sie von den Familien und vom christlichen Volk angerufen. Seelsorge und Marienverehrung sind gute Ausgangspunkte, um das Evangelium der Familie zu verkünden.

Schluss

62. Die vorliegenden Überlegungen, Ergebnis der Synodenarbeit, die sich in großer Freiheit und einer Haltung gegenseitigen Zuhörens vollzog, möchten Fragen stellen und Perspektiven aufzeigen, welche in dem Jahr, das uns von der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode trennt, durch die Reflexion der Ortskirchen heranreifen und präzisiert werden sollen. Die Synode soll im Oktober 2015 stattfinden und sich der Berufung und Sendung der Familien in der Kirche und der Welt von heute widmen. Es handelt sich weder um getroffene Entscheidungen noch um einfache Perspektiven. Der kollegiale Weg der Bischöfe und die Einbeziehung des ganzen Gottesvolkes unter dem Wirken des Heiligen Geistes und mit Blick auf das Vorbild der Heiligen Familie können uns aber leiten, um Wege der Wahrheit und der Barmherzigkeit für alle zu finden.Diesen Wunsch hat Papst Franziskus seit Beginn unserer Arbeiten an uns gerichtet, und er hat uns zum Mut des Glaubens und zur demütigen und aufrichtigen Annahme der Wahrheit in der Liebe eingeladen.