Ethische Grundlagen einer neuen globalen Gemeinschaft
Die internationale Konferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Xenophobie und andere Formen der Intoleranz ist zu Beginn eines neuen Jahrtausends eine wesentliche Herausforderung an die globale Gemeinschaft.
Auch wenn das Thema unserer Konferenz negativ formuliert ist, so ist die Herausforderung, der wir gegenüberstehen, doch positiver Art. Bei der Bekämpfung der Rassendiskriminierung geht es vor allem darum, über die Beschaffenheit der Interaktion von Individuen und Völkern am Anfang eines neuen Jahrhunderts und Jahrtausends zu entscheiden. Rassismus ist eine Sünde. Er ist wesensmäÃÂÂÂig eine Lüge, ein bewuÃÂÂÂt erdachtes Konzept, um die Menschheit zu spalten. Gegenstand dieser Konferenz muàaber die Wahrheit sein: die Wahrheit über die menschliche Würde, die Wahrheit über die grundlegende Einheit der menschlichen Familie. Es ist eine Konferenz über das ethische Fundament einer neuen globalen Gemeinschaft.
Ausgehend von einer ehrlichen Beurteilung der Fehler und Handlungsweisen der Vergangenheit â und bedauerlicherweise auch der Gegenwart âÂÂÂÂÂÂ, müssen wir gemeinsam mit Entschlossenheit und Mut eine bessere Zukunft anstreben, in der die einzigartige Würde und die unveräuÃÂÂÂerlichen Rechte jedes Menschen und jedes Volkes geachtet und gefördert werden.
Trotz dieser von beispiellosem humanitärem und wissenschaftlichem Fortschritt gekennzeichneten heutigen Zeit müssen wir eingestehen, daàzu viele Dimensionen unserer globalen Gemeinschaft immer noch von Ausgrenzung, Spaltung und krasser Ungleichheit geprägt sind, wodurch dramatisches Leid unter den Menschen verursacht wird. Auch dürfen wir nicht jene MaÃÂÂÂnahmen und Taten der unmittelbaren Vergangenheit vergessen, deren Ziel nicht nur die Ausgrenzung, sondern die Vernichtung ganzer Völker war. Die Herausforderung des neuen Jahrhunderts besteht darin, zu gewährleisten, daàderartiges nie wieder geschehen wird. Zudem soll eine den jetzigen Gegebenheiten entsprechende neue Weltkarte entworfen werden, auf der weder Spaltung noch Vorherrschaft erkennbar sind. Vielmehr soll sie sich auszeichnen durch ein fruchtbares Zusammenwirken der Völker, das auf gerechten, brüderlichen und solidarischen Beziehungen gründet.
Individueller und kollektiver Sinneswandel
Voller Anerkennung lobt der Hl. Stuhl den unerläÃÂÂÂlichen Beitrag, den die Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Ungleichheit und Ausgrenzung in der heutigen Welt geleistet haben und auch weiterhin leisten.
Diese Konferenz bedeutet hinsichtlich der Bemühungen der Völkerfamilie hoffentlich einen neuen wesentlichen Schritt nach vorn. Sie ist bestrebt, die wesentlichen und tiefsten Dimensionen dessen zu behandeln, was für die Bekämpfung von Rassendiskriminierung und zum Aufbau einer gerechteren Welt notwendig ist. Die Konferenz fordert jeden von uns auf, als Individuen und Vertreter von Nationen und Völkern die Empfindungen unserer Herzen zu überprüfen. Ohne individuellen und kollektiven Sinnes- und Verhaltenswandel kann der Ursprung von HaÃÂÂÂ, Intoleranz und Ausgrenzung nicht beseitigt werden, und auch im kommenden Jahrhundert wird sich â ebenso wie im soeben zu Ende gegangenen â das häÃÂÂÂliche Gesicht des Rassismus wieder und wieder zeigen.
Die Vorbereitungsarbeiten der Konferenz haben deutlich gemacht, daàdies kein einfacher Prozeàist. Er erfordert eine eingehende Untersuchung der geschichtlichen Wahrheit, nicht jedoch um in der Vergangenheit gefangen zu bleiben, sondern um fähig zu werden, den Aufbau einer andersartigen Zukunft aufrichtig in Angriff zu nehmen. Papst Johannes Paul II. sagte in seiner Ansprache zum Weltfriedenstag 1997: »Doch wahr bleibt, daàman nicht Gefangener der Vergangenheit bleiben kann: Für die einzelnen und für die Völker bedarf es einer Art âºReinigung des Gedächtnisses⹫ (3). Offensichtlich kann es ohne ein ehrliches Bekennen der Wahrheit historischer Wirklichkeiten eine solche Reinigung nicht geben. Das Reinigen des Gedächtnisses erfordert die aufrichtige Beurteilung unserer persönlichen, gemeinschaftlichen und nationalen Geschichte und das Eingeständnis der weniger positiven Aspekte, die zur heutigen Ausgrenzung beigetragen haben; auf diese Weise möge das Zeitalter der Globalisierung in ein Zeitalter der Begegnung, der Gemeinsamkeiten und der Solidarität verwandelt werden.
Migranten, Flüchtlinge und ihre Familien
In seinem Beitrag zur Vorbereitung dieser Konferenz verwies der Hl. Stuhl insbesondere auf die Situation der Migranten, der Flüchtlinge und ihrer Familien. Migration wird zu den typischen Kennzeichen einer globalisierten Welt gehören; es kann ein Phänomen sein, das Wohlstand erzeugen und dazu beitragen kann, globale Ungleichheiten zu beseitigen und die Kontakte zwischen Völkern und Kulturen zu intensivieren.
Wie das vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden unlängst als Beitrag für diese Konferenz veröffentlichte Dokument hervorhebt, »erfordert zunehmende menschliche Mobilität mehr denn je Offenheit gegenüber den anderen« (vgl. Die Kirche angesichts des Rassismus, Beitrag des Hl. Stuhls im Hinblick auf die internationale Konferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Xenophobie und andere Formen der Intoleranz, Vatikanstadt 2001, S. 21). Heute aber wird der Migrant, vor allem derjenige mit einem anderen kulturellen Hintergrund, leicht zum Opfer von Rassendiskriminierung, Intoleranz, Ausbeutung und Gewalttätigkeit. Im Fall von Migranten ohne gültige Papiere kann die betreffende Person nicht einmal auf ein Minimum an Unterstützung durch die zuständigen Behörden zählen. Die Konferenz muàeine klare Bestätigung der grundlegenden Menschenrechte aller Migranten sein, ungeachtet ihres Immigrationsstatus. Sie muàgenerelle Richtlinien für die wirksame nationale und internationale Anwendung dieser Rechte aufzeigen; gleichzeitig erfordert die Bekämpfung des Rassismus ein intensives und ausgewogenes Erziehungsprogramm hinsichtlich des Migrationsphänomens.
Die grundlegende Rolle der Erziehung
Ein weiteres Thema, dem der Hl. Stuhl im Lauf der Konferenz besonderen Nachdruck verleihen möchte, ist die grundlegende Rolle der Erziehung bei der Bekämpfung des Rassismus. Eine solche Erziehung muàbereits in der Familie beginnen, denn sie ist es, die dem Kind erstmals das Verständnis vom Mitmenschen vermittelt. In der Familie wird der Nächste wahrhaft Bruder oder Schwester; sie muàdie erste von Offenheit, Aufnahmebereitschaft und Solidarität geprägte Gemeinschaft sein, die erste Schule, in der die Wurzeln rassistischen Verhaltens mit Nachdruck zurückgewiesen werden müssen.
Erziehung gegen rassenbedingte Intoleranz muàsowohl in der Schule als auch in der Gesellschaft eindeutig die Grundlage aller erzieherischen Dimensionen werden. Eine solche Erziehung muàjene ethischen Fundamente ansprechen, die die Einheit der Menschenfamilie fördern.
Ganz besondere Verantwortung tragen diejenigen, die die öffentliche Meinung bilden oder beeinflussen. Vor allem die Massenmedien müssen es vermeiden, rassistische Gesinnungen hervorzurufen. Jede Form von rassistischer Klischeevorstellung oder Versuche, durch Rassendiskriminierung Ausgrenzung oder Haàzu schüren, müssen im Keim erstickt werden. ;
Die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte muàeine grundlegende Dimension von Bildungsprogrammen werden; dies gilt gleichermaÃÂÂÂen für die berufliche Ausbildung gewisser Personengruppen, deren Arbeit zur Verhinderung von Rassendiskriminierung beitragen kann, so etwa auf dem Gebiet der Massenmedien oder in Bereichen, die insbesondere für den Schutz der Menschen verantwortlich sind, wie beispielsweise die Justiz oder Polizei.
Beitrag und Verantwortung religiöser Gemeinschaften
In ganz besonderer Form ging der Hl. Stuhl schlieÃÂÂÂlich auf den Beitrag und die Verantwortung religiöser Gemeinschaften bei der Bekämpfung des Rassismus ein. Auf diese Konferenz bezugnehmend, appellierte Papst Johannes Paul II. vor einigen Tagen an alle Gläubigen und betonte, daàwir Gott, den Vater aller, nicht anrufen können, wenn wir irgendwelchen Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern (vgl. Ansprache vor dem Angelusgebet am 26. August 2001; vgl. Nostra aetate, Nr. 5) Allzu häufig ist die Religion dazu miÃÂÂÂbraucht worden, bereits vorhandene politische, wirtschaftliche oder soziale Spaltungen zu vertiefen. Die Verantwortlichen der Religionsgemeinschaften sollten sich stets bewuÃÂÂÂt sein, daàReligionen wesensmäÃÂÂÂig zur Einheit der Menschheit aufrufen. Wahrer religiöser Glaube ist absolut unvereinbar mit rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen. Die jüngsten Erfahrungen im Bereich des interreligiösen Dialogs lassen auf ein gröÃÂÂÂeres Einvernehmen zwischen den Religionen hoffen. In letzter Zeit war die Einheit der Verantwortlichen religiöser Gemeinschaften bei vielen Konflikten ein wesentlicher Faktor für die Vermeidung oder Einschränkung von Auseinandersetzungen und die Förderung von Versöhnung.
Herr Präsident, wir hegen die Hoffnung, daàdiese Konferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Xenophobie und andere Formen der Intoleranz jener historische Augenblick ist, der einer Kultur des Dialogs neue Bedeutung verleiht: Dialog zwischen Religionen und Kulturen, Dialog zwischen und innerhalb der Nationen. Möge der Anfang einer neuen, breitangelegten, internationalen Kooperation zwischen Regierungen, den zivilen Gesellschaften, religiösen Gruppen, den Massenmedien wie auch umsichtigen und mutigen Personen zu den Erfolgen dieser Konferenz zählen, um gemeinsam jene Sichtweise von einer in wahrer Eintracht lebenden Menschheit aufzubauen, die dem Plan Gottes für die menschliche Familie entspricht.