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PREDIGT VON KARDINAL ANGELO SODANO 
BEIM PONITIFIKALAMT AM 
HOCHFEST DER HLL. PETRUS UND PAULUS 
IN DER HEDWIGSKATHEDRALE ZU BERLIN

Freitag, 29. Juni 2001

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt 
und verehrte Brüder im priesterlichen und diakonalen Dienst! 
Sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens! 
Ordensmänner und -frauen der verschiedenen Gemeinschaften! 
Brüder und Schwestern im Herrn! 

Noch klingen in unseren Herzen die Worte nach, die wir im Tagesgebet gesprochen haben: »Herr, unser Gott, am Hochfest der Apostel Petrus und Paulus haben wir uns in Freude versammelt.« Das heutige Fest ist wirklich ein Freudentag. Unsere Gedanken wandern zu den Gräbern der Apostelfürsten nach Rom – in jene Stadt, die heute ihr Festtagskleid angelegt hat und besungen wird als »felix Roma«: o glückliches Rom! Wäre ich an diesem großen Tag in Rom, dann stünde ich mit dem Heiligen Vater am Altar, um das eucharistische Dankopfer darzubringen. In diesem Jahr darf ich dieses Fest mit euch feiern. Wir sagen Gott Dank für alle Gaben, die er uns schenkt, besonders für Petrus und Paulus, durch die »Gottes große Taten« (Apg 2,11) bis in unsere Tage in der Kirche Gestalt und Gehalt gewinnen. 

1. Der Gruß des Papstes 

Papst Johannes Paul II. ist uns in dieser feierlichen Stunde im Geiste nahe und hat mich gebeten, euch alle und jeden einzelnen aus ganzem Herzen zu grüßen und beste Segenswünsche zu übermitteln. Einen besonderen Gruß richtet er an den Oberhirten dieser Erzdiözese, Herrn Kardinal Georg Sterzinsky, an den Apostolischen Nuntius, Herrn Erzbischof Giovanni Lajolo, sowie an alle anwesenden Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Ein Wort der Verbundenheit gilt auch den Vertretern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Es ist schön, daß zahlreiche Autoritäten von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu diesem festlichen Anlaß gekommen sind. 

2. Die Botschaft der Apostel 

Das Tagesgebet fährt fort mit einer Bitte: »Hilf deiner Kirche, in allem der Weisung deiner Boten zu folgen.« Wir sind eingeladen, auf Petrus und Paulus zu schauen und daraus eine Botschaft abzuleiten für unser Sein und unsere Sendung, in die uns der Herr gerufen hat.

Die Apostelfürsten, die sich eingeprägt haben in der Ewigen Stadt, wollen ihre Spuren hinterlassen auch in Berlin – in dieser Metropole, die in den vergangenen Jahren zu einer ganz »neuen Stadt« geworden ist. Deshalb stellt sich die Frage: Was predigen Petrus und Paulus den Berlinern? Was sagen die Apostelfürsten uns, die wir sie heute ehren? 

Wir kennen die beiden Männer und wissen, wie unterschiedlich ihr Charakter und ihre Sendung war. Doch in Jesus Christus wußten sich beide vereint. Mit Jesus Christus haben sie gearbeitet, ohne sich zu schonen, und sich aufgezehrt bis zum Tod. Durch Jesus Christus bekamen sie die Kraft, sich die Worte des Psalmisten zu eigen zu machen: »Der Herr hat mich all meinen Ängsten entrissen« (Antwortgesang, Ps 34,5). Ihr Martyrium der Kreuzigung und Enthauptung ist gleichsam eine lebendige Auslegung der Doxologie, die das eucharistische Hochgebet beschließt: »Durch ihn und mit ihm und in ihm, ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Herrlichkeit und Ehre.« 

3. Die Bedeutung des Martyriums 

Petrus und Paulus: Die beiden Apostelfürsten haben dem Herrn wirklich alle Ehre gemacht. Darin liegt die wichtigste Botschaft, die Petrus und Paulus uns ans Herz legen. 

Sie schreiben uns ins Stammbuch, was Dasein für Christus vor allen anderen Aktivitäten bedeutet: Ihr seid berufen, durch euer Leben dem Herrn die Ehre zu geben. Als kostbares Erbe haben uns die Apostelfürsten ihr Zeugnis hinterlassen: ein Zeugnis, das auch das Martyrium nicht scheute. Die Treue zu Christus ließ sie den Kelch zur Neige trinken, bis zum Vergießen des eigenen Blutes. 

4. Der Grundstein Petrus 

Richten wir unseren Blick zunächst auf Petrus: Sein Leben bekam eine ganz neue Qualität, nachdem er bei Cäsarea Philippi das Bekenntnis abgelegt hatte: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Mt 16,18): So antwortet Jesus auf das Credo des Felsenmannes. Doch bei aller Größe des Bekenntnisses stellt Jesus dem Petrus gegenüber klar: »Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel« (Mt 16,17). Wenn Petrus in Jesus von Nazaret den Sohn des lebendigen Gottes bekennen darf, dann muß er gleichzeitig anerkennen, daß er dieses Bekenntnis Gott verdankt: Das Messiasbekenntnis ist nicht menschliche Mache, sondern göttliche Gabe. 

In der Zwiesprache zwischen Jesus Christus und Simon Petrus wird ein neues Band geknüpft zwischen dem menschlichen Erkennen und dem Geheimnis des lebendigen Gottes. In dieser Zwiesprache wird zugleich der Grund gelegt für das lebendige Haus Gottes, das Kirche heißt. Denn Jesus gibt dem Petrus das Versprechen: »Auf diesen Felsen – d. h. auf dich! – werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen« (Mt 16,18). So wird deutlich: Die Kirche ist keine Erfindung von Menschen, sondern ein Geschenk Gottes; keine Organisation »von unten«, sondern eine Gabe »von oben«. Nicht wir »machen« die Kirche, sondern die Kirche macht uns zu dem, was wir sind: Christen, Ordensleute, Diakone, Priester und Bischöfe. 

5. Der Petrusdienst 

In einer Zeit der Machbarkeit ist die Versuchung verbreitet, auch die Kirche nach menschlichen Maßstäben zu bauen. Dabei wird vergessen, daß wir das Geschenk des Glaubens und des Heils gerade von der Kirche empfangen haben. Dank sei Gott, daß er uns die Kirche geschenkt hat! Eine besondere Danksagung gebührt dem Geschenk des Petrusdienstes, den der Herr selbst seiner Kirche eingestiftet hat. Ohne den Petrusdienst wäre die Einheit der Kirche gefährdet. Ohne das Fundament des Petrus stünde das Haus der Kirche auf wackeligem Boden. 

Mit diesen Überlegungen will ich keinesfalls sagen, daß die Kirche ein statischer, kalter Block sei. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kirche soll ein Haus sein, in dem die Menschen von heute »das Leben in Fülle« (Joh 10,10) finden. 

Um auszudrücken, daß die Kirche lebt und wächst, greift die Heilige Schrift auf weitere Bilder zurück: Sie redet vom Baum, der in die Höhe ragt und seine Zweige ausbreitet. Sie wagt den Vergleich mit einem winzigen Senfkorn, das zu einem riesigen Baum emporwächst. Sie spricht vom Sauerteig, der einen großen Trog Mehl zu durchsäuern vermag (vgl. Mt 13,31 – 33). Auch die Einheit der Kirche ist etwas Lebendiges. Wir wollen Gott danken, daß er die Kirche durch Petrus und seine Nachfolger bis in unsere Tage im Glauben eint und in der Wahrheit freimacht! 

6. Die Mission des Paulus 

Werfen wir nun einen Blick auf Paulus: Unsere Gedanken wandern von Caesarea Philippi nach Damaskus. Auch dort wird ein Band geknüpft zwischen der menschlichen Erkenntnis und dem Geheimnis des lebendigen Gottes: »Der Herr stand Saulus zur Seite« (vgl. 2 Tim 4,17), als er ihn blind machte und ihn zu Boden stürzen ließ. Genau in dem Augenblick, da Saulus die Kleinheit seines bisherigen Lebens erkannte, wurde ihm die Offenbarung der Größe des lebendigen Gottes zuteil. Für Saulus war Jesus das »Zeichen des Widerspruchs« (Lk 2,34), für Paulus sollte Christus »Gottes Kraft und Gottes Weisheit« (1 Kor 1,24) sein. Im Blick auf das »neue Leben«, das in Damaskus seinen Anfang nahm, stellt Paulus später fest: »Der Herr gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören« (2 Tim 4,17). Seitdem war er unermüdlich unterwegs, um das Evangelium durch sein lebendiges Wort auszubreiten. Mehr noch als sein weitgefächertes Briefapostolat es zeigt, war jedoch sein ganzes Leben ein »Brief Christi, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes« (2 Kor 3,3). 

So ruft uns die Gestalt des Paulus in Erinnerung, daß die Kirche ihrem Wesen nach missionarisch ist. »Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige!« (1 Kor 9,16). Diese Mahnung gilt nicht nur für die Hirten, die Amtsträger und hauptberuflichen Mitarbeiter der Kirche. Sie geht alle Glieder der Kirche an. 

Darauf hat bereits Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi hingewiesen: »Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeit« (Nr. 20), so daß die Bereiche missionarischer Präsenz voll ausgeschöpft und das Engagement auch der Laien vertieft werden muß. Das erste Feld des Apostolats steckte Paul VI. folgender aßen ab: »Es ist die weite und komplizierte Welt der Politik, der sozialen Wirklichkeit, der Wirtschaft auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene« (Nr. 62). 

7. Die Herausforderungen des dritten Jahrtausends 

Wir haben die Schwelle zum dritten Jahrtausend überschritten. Der Heilige Vater hat die Kirche in ein neues Jahrhundert hinübergeführt. Das 21. Jahrhundert wartet auf den Beitrag der Christen. 

Für diesen hohen Auftrag hat Papst Johannes Paul II. in Novo millennio ineunte einige pastorale Leitlinien vorgelegt, damit das Reich Gottes Zukunft hat. Er lädt die Kirche ein, auf das Meer der Zeit hinauszufahren und die Netze für Christus auszuwerfen. Missionarischer Eifer ist angesagt. Der Ruf nach einer Neu-Evangelisierung muß uns zu Herzen gehen. 

Da vor mehr als zehn Jahren der Eiserne Vorhang fiel und die Grenze zweier Welten aufgehoben wurde, besteht jetzt die große Chance, jenseits aller politischen und wirtschaftlichen Blöcke die Menschen auf eine »neue Welt« hinzuweisen, die über das Sichtbare und Machbare hinausgeht. 

Die Kirche ist berufen, diese »neue Welt« zu erschließen, indem sie über dem Meer der Zeit den Horizont der Transzendenz eröffnet. Zugleich ist sie das Netz, das in diesem Meer für das endgültige Geschick des Menschen arbeitet und ihn einführt in die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott. 

Gerade Berlin – die Stadt, die sich nach dem Fall der Mauer wieder ein einheitliches und junges Gesicht gegeben hat – braucht den Beitrag der Christen, damit sie auch innerlich eine »neue Stadt« wird. 

Nur wenn glaubensfeste Männer und Frauen bereit sind, dieser Stadt das Evangelium einzupflanzen, dann wird daraus ein blühender Garten, in dem sich Menschen aus vielen Völkern und Sprachen an einer wahren »Kultur der Liebe und des Lebens« erfreuen und zu einer Existenz finden können, die ihrer Würde als Bild und Gleichnis Gottes entspricht. Berlin braucht Sämänner des Evangeliums! Auch in der Bundeshauptstadt dieses kulturell und wirtschaftlich so hochgeschätzten Landes soll das Senfkorn des Reiches Gottes aufgehen und Früchte tragen! 

Was einst Paulus angetrieben hat, die Frohe Botschaft in den letzten Winkel der damals bekannten Welt zu tragen, ist auch unser Ansporn: »Caritas Christi urget nos. Die Liebe Christi drängt uns« (2 Kor 5,14). 

8. Die Kirche lieben 

Diese Botschaft predigt uns das Leben und Sterben von Petrus und Paulus. Sie haben Gott an sich handeln lassen und so das wahre Leben gefunden. Die Apostelfürsten sind auch Symbolfiguren für die ganze Kirche: Petrus erinnert uns an die Einheit der Kirche; Paulus steht dafür, daß die Kirche eine Mission hat. 

Unermeßlich ist der Beitrag dieser beiden lebendigen »Säulen« , auf die sich die Kirche bis heute stützen kann. Doch mindestens genauso wichtig ist die Maxime, die ihr Tun bestimmt hat: Sie haben ihr Herz für die Kirche schlagen lassen. Sie haben die Kirche geliebt. Die Liebe zur Kirche ist es, die wir heute mehr denn je brauchen! 

Die Liebe zur Kirche ist auch der Schlüssel, damit wir die Kirche immer besser kennen und verstehen lernen. Wir können die Kirche nicht nur aus Büchern studieren. Wir müssen mit und in der Kirche leben aus Liebe zu ihr: Die Kirche nicht lieben, heißt Christus nicht kennen. Kennen und lieben sind eng miteinander verwandt. 

Ich wünsche uns allen eine tiefe Liebe zur Kirche, damit wir durch sie immer mehr Christus kennenlernen als den, der unser Leben sinnvoll und erfüllend macht. Der hl. Papst Gregor der Große gibt uns dabei eine wertvolle Hilfestellung: »Wenn wir die göttlichen Wahrheiten lieben, kennen wir schon das Geliebte. Denn die Liebe selbst bedeutet schon Kenntnis. Amor ipse notitia est« (Homiliae in evangelia II, 27,4). 

Heiliger Petrus und hl. Paulus, ihr habt die Kirche geliebt. Bittet für uns! 

Amen.

 

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