"MITTELEUROPÄISCHER KATHOLIKENTAG" ANSPRACHE VON KARDINAL ANGELO SODANO Refektorium des Klosters Mariazell
Eminenzen und Exzellenzen! Sehr geehrte Herren Kardinäle, »Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum« (Ps 133,1) singt der Psalmist beglückt angesichts der Zusammenkunft des erwählten Volkes aus Anlaß der jährlichen Wallfahrt zum Laubhüttenfest. »Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen!« Das möchte auch ich an diesem Abend ausrufen, da ich mit Ihnen zusammentreffe, den Hirten der Kirchen, die in Mitteleuropa wieder aufblühen. Ich bin hierher gekommen, um Sie in dieser Gnadenstunde die Nähe des Heiligen Vaters Johannes Paul II. spüren zu lassen und Sie der Solidarität aller seiner Mitarbeiter zu versichern, die an der Römischen Kurie tätig sind, um seinen Dienst als Hirte der Universalen Kirche zu unterstützen. 1. Die Gegenwart des Papstes 1. Natürlich ist der Bischof von Rom Ihnen schon immer nahe, ist er doch bereits in alle acht Länder, die Sie heute hier vertreten, gereist. Hierher nach Österreich ist er dreimal gekommen, im Jahr 1983, als er auch diesen schönen Wallfahrtsort Mariazell besucht hat, dann wieder 1988 und schließlich 1998. Heute ist der Heilige Vater hier im Geiste unter uns, um noch einmal zu verkünden, daß Christus unsere Hoffnung ist. In Bosnien-Herzegowina hat der Papst zunächst im Jahre 1997 die Märtyrerstadt Sarajewo besucht. Im vergangenen Jahr kam er ein weiteres Mal in dieses Land, um in Banja Luka die großartige Persönlichkeit eines Laien unserer Zeit, den jungen Ivan Merz, seligzusprechen. Im Jahre 1990 reiste der Papst in die Tschechische Republik, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gerade ihre Freiheit wiedergewonnen hatte. Er kehrte zweimal, in den Jahren 1995 und 1997, in dieses Land zurück. Dabei folgte er dem irdischen Pilgerweg des hl. Adalbert und erinnerte auf diese Weise an die geistliche Geschichte Mitteleuropas. Gleichermaßen glücklich darf sich Kroatien mit drei Pastoralbesuchen des Heiligen Vaters in den Jahren 1994, 1998 und 2003 schätzen. Beeindruckend war insbesondere die Seligsprechung des Kardinals Alojzije Stepinac im Wallfahrtsort Marija Bistrica am 3. Oktober 1998. Bei dieser Gelegenheit wurde eine der größten Bischofspersönlichkeiten der heutigen Zeit zur Ehre der Altäre erhoben. Verständlich ist die Vorliebe des Papstes für sein Heimatland. Acht Besuche Johannes Pauls II. durfte Polen erleben, vom ersten im Jahr 1979 bis zu jenem des Jahres 2002 in seiner Bischofsstadt Krakau und in Kalwaria Zebrzydowska. Überall hat er dabei die Botschaft der christlichen Hoffnung verkündet. Mit drei Papstbesuchen ist auch die Slowakei besonders ausgezeichnet worden, zunächst 1990 in Bratislava (noch zu Zeiten der Tschechoslowakei) und zwei weitere Male in den Jahren 1995 und 2003. Auch in diesem Land hatte die Kirche unter der kommunistischen Verfolgung viel zu erleiden. Der Kommunismus versuchte jenen Glauben auszurotten, der einst durch die hll. Cyrill und Methodius ausgesät wurde, als im Jahre 880 die »heilige Kirche von Nitra« gegründet wurde. Papst Johannes Paul II. fand hier jedoch einen ungebrochenen Glauben vor, der heldenhaft allen Stürmen getrotzt hat. Slowenien hatte das Glück, den Papst zweimal, nämlich in den Jahren 1996 und 1999 zu empfangen. In Maribor wurde der große Bischof Anton Martin Slomsˇek seliggesprochen. Dabei kamen seine Worte »der heilige Glaube sei euch das Licht« in Erinnerung, eine Aussage, die für die Christen zu allen Zeiten Gültigkeit hat. Auch Ungarn, das heilige Pannonien, durfte Johannes Paul II. zweimal als Pilger in seinem schönen Land begrüßen, wo er sich einmal von Budapest nach Esztergom aufmachte, um am Grab des großen Kardinals Mindszenty zu beten, sodann vom Heiligtum Mariapócs zur Abtei Pannonhalma und nach Györ, wo der Märtyrerbischof Vilmos Apor seliggesprochen wurde, der als edles Beispiel eines guten Hirten sein Leben für seine Schafe gab. 2. Eine Einladung zur Zusammenarbeit 2. Durch mich möchte der Heilige Vater heute seinen Gruß erneut an Sie alle richten, liebe geschätzte Oberhirten der acht mitteleuropäischen Länder, die durch viele gemeinsame geschichtliche Bande miteinander verknüpft sind und zugleich nach neuen Formen der Zusammenarbeit im Hinblick auf die neue Wirklichkeit eines sich immer mehr vereinigenden Europa streben. Schon während seines ersten Besuchs in Österreich im Jahre 1983 appellierte der Heilige Vater in seiner berühmten Ansprache bei der Europavesper am Heldenplatz an die gemeinsame Verantwortung Ihrer Völker für die christliche Zukunft Europas. Dieses Thema war auch das Leitmotiv bei seinen beiden weiteren Besuchen in diesem so geschichtsträchtigen Land. Heute aus Anlaß des Mitteleuropäischen Katholikentags 2004 lädt Papst Johannes Paul II. Sie alle ein, diese große gemeinsame Aufgabe fortzuführen. Damit leisten Sie Ihren Beitrag zum Aufbau eines Europa des Geistes, eines Europa, das in den Bahnen seines christlichen Erbes voranschreiten möchte. 3. Ein Dankhymnus 3. Im Kreis unserer österreichischen Mitbrüder glaube ich sagen zu dürfen, daß es unsere erste Pflicht ist, dem Herrn für diese neue Gnadenstunde zu danken, die er seiner Kirche gewährt. Diesen Dank möchte ich aussprechen für die Unterstützung der Kirchen Mitteleuropas in der Zeit der Verfolgung und in der dunklen Nacht der Prüfung. Wir danken für das Geschenk der wiedererlangten religiösen Freiheit, die für die Erfüllung des Evangelisierungsauftrags der Kirche in der Welt von heute und besonders unter den Jugendlichen so nötig ist. In der Osternacht haben wir froher als sonst den Hymnus des Exsultet gesungen, und bei der Segnung der Osterkerze haben wir die schönen Worte der Liturgie gesprochen: »Christus heri et hodie, Alpha et Omega, ipsi gloria in saecula saeculorum.« Diese Worte können wir jeden Tag wiederholen, um demjenigen Ehre zu erweisen, welcher der Herr der Geschichte und die beständige Vorsehung auf dem Weg der Völker ist. Als ich am 4. Oktober 1998 an der Seite des Heiligen Vaters die schöne Kathedrale von Split in Kroatien besuchte, hat mich die Geschichte dieses Bauwerks innerlich bewegt. Es entstand gerade über dem Mausoleum, das sich Kaiser Diokletian, der grausamste Verfolger der Christen, erbauen ließ. Über seinen Ruinen erhob sich schon im siebten Jahrhundert die jetzige Bischofskirche. Jene Christen sahen also schon bald die Verheißung Jesu Christi erfüllt: »portae inferi non praevalebunt« (Mt 16,18). Die Ereignisse in der Geschichte des christlichen Europa sind für uns eine Anregung, um eine Theologie der Geschichte zu entwerfen. Diesen Gedanken fand ich kürzlich in der jüngsten Ausgabe der Nouvelle Revue Théologique in einem Artikel von P. Herr SJ, der den Titel trägt »Essai sur lÂÂhéritage de lÂÂEurope. Une lecture theologique« (ebd., 126/2 [2004], S. 218ÂÂ235). 4. Die neuen Herausforderungen 4. Der Blick auf die Zukunft zeigt, daß sich ein riesengroßes Arbeitsfeld vor Ihnen auftut. Die Aufgaben betreffen Ihre acht mitteleuropäischen Nationen ebenso, wie sie alle 107 Bischöfe Ihrer Länder vor neue Probleme stellen. Die 60 Millionen Ihnen anvertrauten Katholiken sind in eine umfassendere Wirklichkeit von 83 Millionen Einwohnern einbezogen, die ein mittlerweile pluralistisches Europa ausmachen, das an Ihren apostolischen Einsatz neue Anforderungen stellt. In der Vergangenheit mußten Ihre Gemeinden die Bedrohung von Seiten des Nationalsozialismus und des Kommunismus bestehen. Heute ist es die Herausforderung durch den Laizismus, der die religiösen und besonders die christlichen Werte aus dem öffentlichen Leben verdrängen will. Dies ist auch aus der derzeitigen Diskussion um die europäische Verfassung ersichtlich. Die Christen dürfen sich nicht entmutigen lassen. Sie sollen weiterhin ihren Überzeugungen hinsichtlich des individuellen und gesellschaftlichen Lebens im brüderlichen Dialog mit allen Ausdruck verleihen und sie verbreiten. Schon in seinem Schreiben Novo Millennio ineunte stellte der Heilige Vater fest, daß die heutige Zeit sich einem »immer ausgeprägteren kulturellen und religiösen Pluralismus« (Nr. 55) gegenüber gestellt sieht. Der Dialog wird daher umso wichtiger und gehört somit zum Evangelisierungsauftrag der Kirche, der in innerer Verbindung mit der Verkündigung Christi steht, auf der die Daseinsberechtigung der Kirche in der Menschheitsgeschichte gründet. Heute dürfen wir mit einem solchen Dialog auch zum sozialen Frieden beitragen und am »Dienst der Versöhnung« (2 Kor 5,18) mitwirken, zu dem wir aufgrund unseres Auftrages berufen sind. Dies ist auch für Sie, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, bedeutsam, die Sie in verschiedenen Volksgemeinschaften arbeiten. Die Heranbildung einer gesunden Liebe zum eigenen Land muß jedoch mit einer ebensolchen Liebe zu den Nachbarn einhergehen, um jede Art von anachronistischem Nationalismus zu vermeiden. Sicherlich können auch im neuen Europa die Nationen nicht einfach verschwinden. Die Österreicher werden immer Österreicher sein, die Kroaten immer Kroaten, die Polen immer Polen, und so fort. Wir müssen jedoch zu einer neuen Bewußtseinsbildung unserer Jugend beitragen. Im Zuge der Einigung Italiens im 19. Jahrhundert hat Ministerpräsident Cavour einmal das berühmte Wort geprägt: »Italien ist geschaffen, nun ist es nötig, die Italiener zu schaffen.« In einer gewissen Analogie dazu könnte man heute sagen: »Die europäische Union ist geschaffen, nun ist es nötig, die Europäer zu schaffen!« 5. Der Sauerteig des Evangeliums 5. Dies ist eine langwierige und viel Geduld erfordernde Arbeit, so wie die Arbeit der Kirche im allgemeinen lang und geduldig ist, um den Sauerteig des Evangeliums in die neue Wirklichkeit dieses Kontinents einzubringen. So hat die Kirche es immer schon in ihrer zweitausendjährigen Geschichte getan. Tatsächlich kann kein Gebildeter leugnen, wie die Botschaft Christi unsere Zivilisation durchdrungen hat und allmählich, wie der Sauerteig im Gleichnis des Evangeliums, die griechisch- römische Welt und die Völker, die sich in diesem Erdteil bildeten, gewandelt hat. Darauf hat schon das Zweite Vatikanische Konzil in der bekannten Pastoralkonstitution Gaudium et spes hingewiesen, wo es heißt, daß die Kirche berufen ist, »der Sauerteig und (gleichsam) die Seele der menschlichen Gesellschaft zu sein« (ebd., Nr. 40). »Die ihr eigene Sendung«, so erinnert das Konzil, »die Christus der Kirche übertragen hat, bezieht sich zwar nicht auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich: das Ziel, das Christus ihr gesetzt hat, gehört ja der religiösen Ordnung an. Doch fließen aus eben dieser religiösen Sendung Auftrag, Licht und Kraft, um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau und Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu sein« (ebd., Nr. 42). Eben diese Dynamik des Evangeliums zeigt bis heute auf unserem Kontinent seine Lebenskraft. 6. Eine Vision der Hoffnung Dies läßt uns auf die Zukunft hoffen, auch wenn am Horizont bedrohliche Wolken aufzuziehen scheinen. Uns tröstet die Verheißung des Herrn: »Wer euch hört, hört mich« (Lk 10,16). Eine tiefe innere Gelassenheit gibt uns zudem jenes Gleichnis Jesu Christi, wo es heißt: »Mit dem Himmelreich ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie« (Mk 4,26ÂÂ27). Dieses Gleichnis lädt uns ein, mit unserer täglichen Arbeit fortzufahren, ohne dabei sogleich Früchte sehen zu wollen. Auch im Reich Gottes gibt es das Gesetz der kleinen Schritte. Bei diesem Katholikentag wollen wir es noch einmal verkünden: »Christus ist unsere Hoffnung. « Christus ist die Hoffnung auch dieses neuen, im Entstehen begriffenen Europas. Sicher, dieses Europa ist noch ein Entwurf, aber es ist ein ehrgeiziger Entwurf. Christus steht uns zur Seite in unserem Einsatz für eine christliche Kultur unserer Völker. Mit dem Psalm könnten wir zusammenfassen: »Beatus populus, cuius Dominus Deus eius« (Ps 144,15). Glücklich das Volk, dessen Gott der Herr ist!
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