DREIZEHNTE STATION
V/. Adoramus te, Christe, et benedicimus tibi.
Es war etwa um die sechste Stunde, als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach. Sie dauerte bis zur neunten Stunde. Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riß mitten entzwei, und Jesus rief laut: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist«. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus. Als der Hauptmann sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: »Das war wirklich ein gerechter Mensch«. BETRACHTUNG Zu Beginn unseres Weges umhüllte der Schleier der Nacht Getsemani; jetzt legt sich die Dunkelheit einer Sonnenfinsternis wie ein Leichentuch über Golgotha. Die »Macht der Finsternis« [1] scheint also über den Ort zu herrschen, an dem Gott stirbt. Ja, der Sohn Gottes muß, um wahrhaft Mensch und unser Bruder zu sein, auch den Kelch des Todes trinken, jenes Todes, der der wirkliche Identitätsbeweis aller Kinder Adams ist. So macht Christus sich »in allem seinen Brüdern gleich« [2] , so wird er ganz und gar einer von uns, ist er bei uns auch in jener äußersten Agonie zwischen Leben und Tod, der Agonie, die sich vielleicht auch in diesen Minuten für einen Mann oder eine Frau hier in Rom und in vielen anderen Städten und Dörfern der Welt wiederholt. Es ist nicht mehr der griechisch-römische Gott, ohne Anteilnahme und weit entfernt wie ein in den goldenen Himmel seines Olymps verbannter Herrscher. Im sterbenden Christus offenbart sich jetzt der leidenschaftliche Gott, der seine Geschöpfe so sehr liebt, daß er sich freiwillig in ihren Grenzen des Schmerzes und des Todes gefangennehmen läßt. Daher ist der Gekreuzigte ein allgemeingültiges menschliches Zeichen der Einsamkeit des Todes und auch der Ungerechtigkeit und des Bösen. Aber er ist auch ein allgemeingültiges göttliches Zeichen der Hoffnung für die Erwartungen eines jeden Hauptmanns, also eines jeden unruhigen und sich auf der Suche befindenden Menschen. * * * Jesus hört nämlich auch dort oben, während er am Kreuz stirbt und sein Atem erlischt, nicht auf, der Sohn Gottes zu sein. In jenem Augenblick ist alles Leid und jeder Tod durchdrungen und beherrscht von der Gottheit, erleuchtet von der Ewigkeit, wird ein Same unsterblichen Lebens in sie hineingelegt, leuchtet in ihnen ein Funke göttlichen Lichts. Obgleich der Tod seine Tragik nicht verliert, zeigt er also ein unvermutetes Gesicht, hat er die Augen des himmlischen Vaters. Daher betet Jesus in der Todesstunde liebevoll: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist«. Diesem Gebet schließen auch wir uns an mit den poetischen und betenden Worten einer Schriftstellerin [3] : »Vater, deine Finger schließen auch mir die Augenlider. / Du, der du mir Vater bist, wende dich mir auch zu wie eine zärtliche Mutter / am Bett ihres träumenden Kindes. / Vater, wende dich mir zu und schließe mich in deine Arme«. Alle: Pater noster, qui es in caelis Vidit suum dulcem Natum
[1]
vgl.
Lukas 22,53.
[2]
Hebräer 2,17.
[3]
MARIE NOËL,
Les chansons et les heures (1930).
© Copyright 2007 - Libreria Editrice Vaticana
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