ELFTE STATION
Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: »Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!« Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: »Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan«. Dann sagte er: »Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst«. Jesus antwortete ihm: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein«. BETRACHTUNG
Die Minuten der Agonie vergehen und die Lebenskraft des gekreuzigten Jesus läßt langsam nach. Und dennoch hat er noch Kraft für eine letzte Liebestat gegenüber einem der beiden zum Tode Verurteilten, die bei ihm sind in jenen tragischen Augenblicken, als die Sonne noch hoch am Himmel steht. Zwischen Christus und diesem Mann findet ein kurzer Dialog statt, ausgedrückt in zwei Sätzen von wesentlicher Bedeutung.
Auf der einen Seite steht die Bitte des Verbrechers, der in der Tradition zum »guten Schächer« geworden ist, des in der letzten Stunde seines Lebens Bekehrten: »Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst«. Es ist fast so, als ob dieser Mann eine persönliche Version des »Vater Unser« und der Anrufung: »Dein Reich komme!« spreche. Er richtet sie jedoch direkt an Jesus und ruft ihn beim Namen, einem Namen, dessen Bedeutung in jenem Augenblick erleuchtend ist: »Der Herr rettet«. Dann kommt dieser Imperativ: »Denk an mich!«. In der Sprache der Bibel besitzt dieses Verb besondere Aussagekraft, die nicht unserem schwachen Ausdruck »an jemanden denken« entspricht. Es ist ein Wort der Gewißheit und des Vertrauens, als wollte man sagen: »Sorge für mich, verlaß mich nicht, sei wie ein Freund, der stützt und trägt!« * * * Auf der anderen Seite ist da die Antwort Jesu, die sehr kurz ist, gleisam ein Hauch: »Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein«. Dieses Wort »Paradies«, das so selten ist in der Heiligen Schrift, daß man es im Neuen Testament an nur zwei weiteren Stellen findet [1] , ruft in seiner ursprünglichen Bedeutung einen fruchtbaren und blühenden Garten vor Augen. Es ist ein Bild, das den Wohlgeruch jenes Reiches des Lichts und des Friedens verströmt, das Jesus in seiner Verkündigung verheißen und mit seinen Wundern eingeleitet hatte und das bald im Osterfest auf herrliche Weise offenbar werden wird. Es ist das Ziel unseres mühseligen Weges in der Geschichte, es ist die Fülle des Lebens, es ist die innige Umarmung mit Gott. Es ist das letzte Geschenk, das Christus uns macht, durch das Opfer seines Todes, der sich öffnet zur Herrlichkeit der Auferstehung. Weiter sagten an jenem Tag der Angst und der Schmerzen die beiden Gekreuzigten einander nichts, aber jene wenigen Worte, die sie mühevoll aus ihren ausgetrockneten Kehlen hervorbrachten, sind noch heute zu hören und hallen immer nach als ein Zeichen des Vertrauens und der Erlösung für diejenigen, die gesündigt, aber auch geglaubt und gehofft haben, und sei es an der äußersten Grenze ihres Lebens. Pater noster, qui es in caelis Sancta mater, istud agas,
[1]
2 Korinther 12,4;
Offenbarung 2,7.
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