DRITTE STATION
V/. Adoramus te, Christe, et benedicimus tibi. Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas. 22, 66-71 Als es Tag wurde, versammelten sich die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten, also der Hohe Rat, und sie ließen Jesus vorführen. Sie sagten zu ihm: »Wenn du der Messias bist, dann sag es uns!«. Er antwortete ihnen: »Auch wenn ich es euch sage – ihr glaubt mir ja doch nicht; und wenn ich euch etwas frage, antwortet ihr nicht. Von nun an wird der Menschensohn zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzen«. Da sagten alle: »Du bist also der Sohn Gottes«. Er antwortete ihnen: »Ihr sagt es – ich bin es«. Da riefen sie: »Was brauchen wir noch Zeugenaussagen? Wir haben es selbst aus seinem eigenen Mund gehört«. BETRACHTUNG Die Sonne des Karfreitags wird hinter dem Ölberg sichtbar, nachdem sie die Täler der Wüste Juda erhellt hat. Die einundsiebzig Mitglieder des Hohen Rates, der höchsten jüdischen Institution, sind im Halbkreis um Jesus versammelt. Soeben wird die Verhandlung eröffnet, die die gewohnten Gerichtsvorgänge umfaßt: die Überprüfung der Identität, die Anklagepunkte, die Zeugenaussagen. Der Prozeß ist religiöser Natur, wie es der Zuständigkeit jenes Gerichtshofes entspricht und wie auch aus den beiden wesentlichen Fragen hervorgeht: »Bist du der Messias? … Bist du der Sohn Gottes?«. Die Artwort Jesu beginnt mit einer beinahe mutlosen Vorbemerkung: »Auch wenn ich es euch sage – ihr glaubt mir ja doch nicht; und wenn ich euch etwas frage, antwortet ihr nicht«. Er weiß also, daß Unverstand, Verdächtigungen, Mißverständnisse im Raume liegen. Er spürt um sich herum eine kalte Wand aus Mißtrauen und Feindseligkeit, die noch unerträglicher wird durch die Tatsache, daß sie von seiner eigenen religiösen und nationalen Gemeinschaft gegen ihn aufgerichtet wurde. Bereits der Psalmist hatte diese Enttäuschung erfahren: »Denn nicht mein Feind beschimpft mich, das würde ich ertragen; nicht ein Mann, der mich haßt, tritt frech gegen mich auf, vor ihm könnte ich mich verbergen. Nein, du bist es, ein Mensch aus meiner Umgebung, mein Freund, mein Vertrauter, mit dem ich, in Freundschaft verbunden, zum Haus Gottes gepilgert bin inmitten der Menge« [1] . * * * Trotz dieses Unverstandenseins zögert Jesus dennoch nicht, das Geheimnis zu verkündigen, das in ihm ist und das von diesem Augenblick an enthüllt werden soll wie in einer Epiphanie. In der Sprache der Heiligen Schrift gesprochen zeigt er sich als »der Menschensohn, der zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzt«. Es ist die von Israel erwartete messianische Herrlichkeit, die sich jetzt in diesem Verurteilten offenbart. Mehr noch: Es ist der Sohn Gottes, der sich jetzt paradoxerweise im Gewand eines Angeklagten zeigt. Die Antwort Jesu – »Ich bin es« –, die auf den ersten Blick wie das Geständnis eines Verurteilten erscheint, wird in Wirklichkeit zu einem feierlichen Bekenntnis der Göttlichkeit. In der Tat ist in der Bibel »Ich-bin-da« der Name und die Bezeichnung für Gott selbst [2] . Die Anklage, die zu einem Todesurteil führen wird, wird so zu einer Offenbarung, und sie wird auch zu unserem Glaubensbekenntnis an Christus, den Sohn Gottes. Dieser Angeklagte, der gedemütigt ist durch den von Stolz erfüllten Gerichtshof, den prunkvollen Saal und ein Urteil, das bereits feststeht, ruft allen Menschen die Pflicht in Erinnerung, von der Wahrheit Zeugnis zu geben. Dieses Zeugnis muß auch dann zum Ausdruck gebracht werden, wenn die Versuchung stark ist, sich zu verbergen, zu resignieren, sich im Strom der vorherrschenden Meinung treiben zu lassen. Eine junge jüdische Frau, die in einem Konzentrationslager sterben mußte, sagte: »Jedem weiteren Verbrechen, jeder weiteren Grausamkeit müssen wir ein weiteres Stückchen Liebe und Güte gegenüberstellen, das wir in uns selbst erobern müssen. Wir dürfen zwar leiden, aber wir dürfen nicht darunter zerbrechen« [3] . Alle: Pater noster, qui es in caelis: O quam tristis et afflicta
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