ERSTE STATION
Jesus ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: »Betet darum, daß ihr nicht in Versuchung geratet!«. Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete: »Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen«. Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft. Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte. Nach dem Gebet stand er auf, ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend; denn sie waren vor Kummer erschöpft. Da sagte er zu ihnen: »Wie könnt ihr schlafen? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet«. BETRACHTUNG Wenn sich der Schleier der Dunkelheit über Jerusalem legt, dann scheinen die Ölbäume von Getsemani mit dem Rauschen ihrer Blätter uns noch heute zurückzubegleiten in jene Nacht des Leidens und des Gebets, die Jesus durchlebte. Er hebt sich einsam im Mittelpunkt des Schauplatzes ab, auf den Erdschollen des Gartens kniend. Wie jeder Mensch, der dem Tod ins Auge blickt, befindet sich auch Jesus in den Fängen der Angst. Das ursprüngliche Wort, das der Evangelist Lukas gebraucht, ist »Agonie«, also Kampf. Das Gebet Jesu ist in jener Stunde dramatisch, angespannt wie in einem Kampf, und der blutdurchzogene Schweiß, der über sein Gesicht rinnt, ist ein Zeichen bitterer und schwerer Qual. Der Schrei ist zum Himmel gerichtet, an jenen Vater, der geheimnisvoll und stumm zu sein scheint: »Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir!«, den Kelch des Schmerzes und des Todes. Auch einer der Erzväter Israels, Jakob, war in einer finsteren Nacht am Ufer eines Nebenflusses des Jordan Gott in Gestalt eines geheimnisvollen Menschen begegnet, der »mit ihm gerungen hatte bis zum Aufstieg der Morgenröte« [1] . In der Zeit der Prüfung zu beten, ist eine Erfahrung, die Leib und Seele erschüttert, und auch Jesus bringt in der Dunkelheit jenes Abends »mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den, der ihn aus dem Tod retten kann« [2] . * * * Im Christus von Getsemani, der mit der Angst kämpft, finden wir uns selbst wieder, wenn wir die Nacht des qualvollen Schmerzes, des Verlassenseins von den Freunden, des Schweigens Gottes erleben. Daher wird Jesus – wie einmal gesagt wurde – »bis zum Ende der Welt in Agonie sein; in dieser Zeit darf man nicht schlafen, weil er Gesellschaft und Trost sucht« [3] , wie jeder Leidende auf der Welt. In ihm entdecken wir auch unser Gesicht, wenn es von Tränen überströmt und von Trostlosigkeit gezeichnet ist. Aber der Kampf Jesu endet nicht in der Versuchung, verzweifelt zu resignieren, sondern im Bekenntnis des Vertrauens zum Vater und zu seinem geheimnisvollen Plan. Es sind die Worte des »Vater Unser«, die er in jener schweren Stunde wiederholt: »Betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet … Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen«. Und da, in diesem Augenblick, erscheint der Engel des Trostes, der Stütze und der Ermutigung, der Jesus und uns hilft, unseren Weg bis ans Ende fortzusetzen.
Alle: Pater noster, qui es in caelis: Stabat Mater dolorosa,
[1]
vgl.
Genesis 32,23-32.
[2]
vgl.
Hebräer 5,7.
[3]
BLAISE PASCAL,
Pensées, Nr. 553, Ed. Brunschwieg.
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