KREUZWEG
AM KOLOSSEUM
MIT PAPST JOHANNES PAUL II.
KARFREITAG 2004
DIE TEXTE DER MEDITATIONEN
WURDEN VORBEREITET VON
DOM ANDRÉ LOUF
ÜBERSETZUNG
EINFÜHRUNG
Wie in jedem Jahr am Abend des Karfreitags, dem liturgischen Gedächtnis des Leidens des Herrn, vollzieht die Kirche Gottes in Rom unter der Leitung ihres Bischofs, des Nachfolgers des Apostels Petrus, am Kolosseum die fromme Übung des "Kreuzweges". Der christlichen Gemeinde Roms schließen sich entlang der vierzehn Stationen Pilger aus der ganzen oikumene, dem ganzen Erdkreis, an, während Millionen von Gläubigen jeder Sprache, jedes Volkes und jeder Kultur über Rundfunk und Fernsehen am Gebet und an der Meditation teilnehmen. Eine glückliche Übereinstimmung des Kalenders erlaubt es in diesem Jahr den Christen aus Ost und West, das große Mysterium des Leidens, des Todes und der Auferstehung des einen Herrn zum selben Termin zu feiern und somit die Erinnerung an das Ereignis, auf das sich ihr Glaube gründet, gleichzeitig zu erleben.
Die biblischen Texte der Via Crucis sind in diesem Jahr dem Lukasevangelium entnommen, und die Texte für die Meditation und die Gebete wurden von P. André Louf zusammengestellt. Er ist Zisterziensermönch der strengen Observanz und lebt seit einigen Jahren in einer Einsiedelei, nachdem er fünfunddreißig Jahre lang das Amt des Abtes in seiner Kommunität Notre-Dame von Mont-des-Cats in Frankreich ausgeübt hatte. In der Nachfolge Jesu Christi führte er seine Gemeinschaft seit den Jahren des II. Vatikanischen Konzils bis an die Schwelle des dritten Jahrtausends: ein Mönch, der dank der täglichen Übung der lectio divina in der Schrift verwurzelt ist, der die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte und die flämischen Mystiker liebt; ein Mönchsvater, der imstande ist, die Brüder im geistlichen Leben und bei der täglichen Suche nach jenem "ein Herz und eine Seele" zu begleiten, das die Apostelgemeinde von Jerusalem kennzeichnete. Ein Einsiedlermönch also, für den Einsamkeit und Gemeinschaft in ständiger existentieller Dialektik stehen: Einsamkeit vor Gott und brüderliche Gemeinschaft, innerliches Einswerden und Einheit in der Komunität, Beschränkung auf die simplicitas (Einfachheit) des Wesentlichen und Ausweitung auf die Vielfalt der Äußerungen des Glaubenslebens. Das ist die tägliche mühsame Aufgabe des Mönchs, die Dynamik seiner stabilitas in einer bestimmten kommunitären Wirklichkeit, die "Arbeit des Gehorsams" (Regel des hl. Benedikt, Prol. 2) und durch sie Rückkehr zu Gott.
Von dieser befreienden monastischen Mühsal, die auch die Mühsal jedes getauften Gliedes der lebendigen Gemeinschaft der Kirche ist, sind die für diesen Kreuzweg vorgeschlagenen Texte durchsetzt. Jesus findet sich immer wieder "allein", manchmal aus freier Entscheidung, andere Male, weil er von allen verlassen wurde: Er ist in Getsemani allein, im Angesicht des Vaters; er ist allein angesichts des Verrates eines Jüngers und der Verleugnung eines anderen; allein steht er vor dem Hohen Rat, vernimmt das Urteil des Pilatus, den Hohn und Spott der Soldaten; allein nimmt er die Last des Kreuzes auf sich; allein wird er sich vollständig in die Arme des Vaters fallen lassen.
Aber die Einsamkeit Jesu ist nicht unfruchtbar, im Gegenteil: Da sie aus einer tiefen inneren Einheit mit dem Vater und dem Geist entspringt, stiftet sie ihrerseits Gemeinschaft zwischen denen, die in eine lebendig machende Beziehung zu ihr treten. So trifft Jesus in seinem Leiden auf die brüderliche Hilfe des Simon von Zyrene; er erfährt den Trost der Frauen, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgegangen sind; er öffnet die Pforten seines Reiches dem Hauptmann und dem guten Schächer, die hinter den äußeren Anschein zu schauen wissen; er sieht, wie zu Füßen des Kreuzes der Kern der Gemeinde entsteht, der von seiner Mutter und dem Lieblingsjünger gebildet wird. Schließlich wird bei der Grablegung, im Augenblick der scheinbar größten Einsamkeit, sein von der Erde verschlungener Leib zum Durchgang zu einer erneuerten weltumspannenden Gemeinschaft: Der in das Reich des Todes hinabsteigende Jesus begegnet in Adam und Eva der gesamten Menschheit, "predigt den Geistern, die im Gefängnis waren" (1 Petr 3, 19) und errichtet die paradiesische Gemeinschaft neu.
Für jeden Jünger Jesu Christi bedeutet die Teilnahme am Kreuzweg, daß er nun in das vom Meister und Herrn gelebte Geheimnis der Einsamkeit und Gemeinschaft eintritt, den Willen des Vaters für sich annimmt, bis er jenseits des Leidens und des Todes das unendliche Leben erkennt, das aus der durchbohrten Seite und aus dem leeren Grab entspringt.
ERÖFFNUNGSGEBET
Der Heilige Vater:
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
L. Amen.
Brüder und Schwestern,
wieder sind wir zusammengekommen, um dem Herrn Jesus
auf dem Weg zu folgen, der ihn nach Golgota führt.
Wir werden dort Menschen begegnen, die ihm bis zuletzt gefolgt sind
- der Mutter, dem Lieblingsjünger,
den Frauen, die ihm in der Verkündigung der Frohen Botschaft folgen werden ... -
und allen, die von Mitleid bewegt,
ihn zu trösten und seinen Schmerz zu lindern suchten.
Wir werden auch denjenigen begegnen, die seinen Tod beschlossen hatten
und denen er aus einem Übermaß an Liebe vergeben hat.
Bitten wir ihn, daß er in unser Herz
seine Gesinnung einsenkt (Phil 2, 5),
damit wir "ihn erkennen" können
"und die Macht seiner Auferstehung
und die Gemeinschaft mit seinen Leiden;
sein Tod soll mich prägen.
So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen" (Phil 3, 10-11).
In diesem Jahr, in dem durch die Fügung der Vorsehung
alle Kirchen das Osterfest zeitgleich feiern,
gehen unsere Gedanken zu allen Jüngern Jesu,
die in der Welt an diesem Tag seines Todes
und seiner Grablegung gedenken.
Laßt uns beten.
Kurze Stille.
Jesus, unschuldiges Opfer der Sünde,
nimm uns als Gefährten deines österlichen Weges an,
der vom Tod zum Leben führt,
und lehre uns, die Zeit, die wir auf Erden verbringen werden,
fest verwurzelt im Glauben an dich zu leben,
der du uns geliebt und dich für uns hingegeben hast (Gal 2, 20).
Du bist Christus, der einzige Herr,
der lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.
L. Amen.