II Familie und Gesellschaft
2207 Die
Familie ist die Urzelle des gesellschaftlichen Lebens. Sie ist die natürliche
Gemeinschaft, in der Mann und Frau zur Hingabe der Liebe und zur Weitergabe des
Lebens berufen sind. Die Autorität, die Beständigkeit und das
Gemeinschaftsieben innerhalb der Familie bilden die Grundlage von Freiheit,
Sicherheit und Brüderlichkeit innerhalb der Gesellschaft. Die Familie ist die
Gemeinschaft, in der man von Kind auf lernen kann, die sittlichen Werte zu
achten, Gott zu ehren und die Freiheit richtig zu gebrauchen. Das Familienleben
ist eine Einübung in das gesellschaftliche Leben.
2208 Die
Familie soll so leben, daß ihre Mitglieder lernen, sich um Junge und Alte, um
Kranke, Behinderte und Arme zu kümmern und sich ihrer anzunehmen. Es gibt
zahlreiche Familien, die zeitweilig nicht imstande sind, diese Hilfe zu
leisten. Dann ist es Sache anderer Personen oder Familien, subsidiär auch Sache
der Gesellschaft, für die Bedürfnisse dieser Menschen zu sorgen. „Ein reiner
und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen
zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt
zu bewahren" (Jak 1,27).
2209 Die
Familie ist durch geeignete soziale Maßnahmen zu unterstützen und zu schützen.
Wenn die Familien nicht imstande sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, haben andere
Körperschaften der Gesellschaft die Pflicht, der Institution der Familie
beizustehen und sie zu unterstützen. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip sollen die
größeren Gemeinschaften davon Abstand nehmen, sich die Rechte der Familie
anzumaßen oder in ihr Leben einzugreifen.
2210 Weil die
Familie für das Leben und das Wohlergehen der Gesellschaft so bedeutend ist
[Vgl. GS 47,1], hat diese eine besondere Verpflichtung, Ehe und Familie zu
unterstützen und zu stärken. Die Staatsgewalt hat es als ihre besondere Pflicht
anzusehen, „die wahre Eigenart von Ehe und Familie anzuerkennen, zu hüten und
zu fördern, die öffentliche Sittlichkeit zu schützen und den häuslichen
Wohlstand zu begünstigen" (GS 52,2).
2211 Die
politische Gemeinschaft hat die Pflicht, die Familie in Ehren zu halten, ihr
beizustehen und ihr vor allem zu
gewährleisten:
- die Freiheit, eine Familie zu
gründen, Kinder zu haben und sie gemäß den eigenen moralischen und religiösen
Überzeugungen zu erziehen;
- den Schutz des Fortbestehens
des Ehebandes und der Institution der Familie;
- die Freiheit, seinen Glauben zu
bekennen, weiterzugeben und die Kinder mit Hilfe der dazu notwendigen Mittel
und Institutionen in diesem Glauben zu erziehen;
- das Recht auf Privateigentum,
die Freiheit, selbständig oder unselbständig zu arbeiten, eine Wohnung zu
erhalten und das Recht, auszuwandern;
- den Institutionen des
betreffenden Landes entsprechend das Recht auf medizinische Betreuung, auf
Beistand im Alter und auf Kindergeld;
- den Schutz der Sicherheit und
der Gesundheit, insbesondere gegenüber Gefahren wie Drogen, Pornographie und
Alkoholismus;
- die Freiheit, Familienverbände
zu bilden und so bei den staatlichen Institutionen vertreten zu sein [Vgl. FC
46.].
2212 Das vierte
Gebot erhellt auch die anderen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft. In
unseren Geschwistern sehen wir Kinder unserer Eltern; in unseren Vettern und
Basen Nachkommen unserer Ahnen; in unseren Mitbürgern Söhne und Töchter unseres
Heimatlandes; in allen Getauften Kinder unserer Mutter, der Kirche; in jedem
Menschen einen Sohn oder eine Tochter dessen, der „unser Vater" genannt
werden will. Dadurch erhalten unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen einen
persönlichen Charakter. Der Nächste ist kein bloßes „Individuum" innerhalb
der Masse, sondern „jemand", der aufgrund seiner bekannten Herkunft
besondere Aufmerksamkeit und Achtung verdient.
2213 Die
menschlichen Gemeinschaften setzen sich aus Personen zusammen. Sie gut zu
regieren besteht nicht bloß darin, daß Rechte gewährleistet, Pflichten erfüllt
und Verträge eingehalten werden. Gerechte Beziehungen zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern, zwischen Regierenden und Bürgern setzen das natürliche
Wohlwollen voraus, das der Würde menschlicher Personen entspricht, die auf
Gerechtigkeit und Brüderlichkeit bedacht sind.
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