I Die Achtung der menschlichen Person
1929 Die
soziale Gerechtigkeit läßt sich nur dann ereichen, wenn die überragende Würde
des Menschen geachtet wird. Die Person ist das letzte Ziel der Gesellschaft;
die Gesellschaft ist auf die Person hingeordnet.
Auf dem Spiel steht „die Würde
der menschlichen Person, deren Verteidigung und Förderung uns vom Schöpfer
anvertraut ist und deren verantwortliche Schuldner im strengen Sinn alle Männer
und Frauen in jeder Lage der Geschichte sind" (SRS 47).
1930 Zur
Achtung der menschlichen Person gehört auch die Achtung der Rechte, die sich
aus ihrer Würde als Geschöpf ergeben. Diese Rechte leiten sich nicht von der
Gesellschaft ab und sind von ihr anzuerkennen. Sie bilden die Grundlage für die
sittliche Berechtigung jeder Autorität. Eine Gesellschaft, die diese Rechte mit
Füßen tritt oder sich weigert, sie in ihrer positiven Gesetzgebung
anzuerkennen, untergräbt ihre eigene sittliche Rechtmäßigkeit‘. Wenn eine
Autorität die Person nicht achtet, kann sie sich nur auf Macht oder Gewalt
stützen, um ihre Untergebenen zum Gehorsam zu bringen. Die Kirche muß die
Menschen guten Willens an diese Rechte erinnern und diese von mißbräuchlichen
oder falschen Forderungen unterscheiden.
1931 Um die
menschliche Person zu achten, muß man sich an den Grundsatz halten, daß „alle
ihren Nächsten ohne Ausnahme als ein anderes Ich ansehen müssen, indem sie vor
allem auf sein Leben und die notwendigen Mittel, um es würdig zu führen,
bedacht sind" (GS 27, 1). Keiner Gesetzgebung wird es von sich aus
gelingen, die Ängste und Vorurteile, die überheblichen und egoistischen
Haltungen zu beseitigen, die das Entstehen wahrhaft brüderlicher Gesellschaften
behindern. Solche Verhaltensweisen werden nur durch die christliche Liebe
überwunden, die in jedem Menschen einen „Nächsten", einen Bruder oder eine
Schwester erblickt.
1932 Je größer
die Hilflosigkeit eines Menschen in irgendeinem Lebensbereich ist, desto
dringender ist die Pflicht, sich ihm durch tätigen Beistand als Nächster zu
erweisen. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr
mir getan" (Mt 25,40).
1933 Diese
Pflicht bezieht sich auch auf jene, die anders denken oder handeln als wir. Die
Lehre Christi verlangt sogar, Schuld zu verzeihen. Sie dehnt das Gebot der
Liebe, das Gebot des neuen Gesetzes, auf alle Feinde aus [Vgl. Mt 5,43 - 44].
Die Befreiung im Geist des Evangeliums ist unvereinbar mit dem Haß des Feindes
als Person, nicht aber mit dem Haß auf das Böse, das er als Feind verübt.
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