I Das Gewissensurteil
1777 Im
Innersten der Person wirkt das Gewissen [Vgl. Röm 2,14-1]. Es gebietet zum
gegebenen Zeitpunkt, das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen. Es urteilt
auch über die konkreten Entscheidungen, indem es den guten zustimmt, die
schlechten mißbilligt [Vgl. Röm 1,32.]. Es bezeugt die Wahrheit im Hinblick auf
das höchste Gut, auf Gott, von dem der Mensch angezogen wird und dessen Gebote
er empfängt. Wenn er auf das Gewissen hört, kann der kluge Mensch die Stimme
Gottes vernehmen, die darin spricht.
1778 Das
Gewissen ist ein Urteil der Vernunft, in welchem der Mensch erkennt, ob eine
konkrete Handlung, die er beabsichtigt, gerade ausführt oder schon getan hat,
sittlich gut oder schlecht ist. Bei allem, was er sagt und tut, ist der Mensch
verpflichtet, sich genau an das zu halten, wovon er weiß, daß es recht und
richtig ist. Durch das Gewissensurteil vernimmt und erkennt der Mensch die
Anordnungen des göttlichen Gesetzes.
Das Gewissen ist „ein Gesetz des
Geistes" und ist darüber hinaus „eine unmittelbare Einsprechung", die
„auch den Begriff der Verantwortlichkeit, der Pflicht, einer Drohung und einer
Verheißung" in sich schließt Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der
Natur als auch in der Gnade hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch
seine Stellvertreter lehrt und regiert. Das Gewissen ist der ursprüngliche
Statthalter Christi" (J. H. Newman, Brief an den Herzog von Norfolk 5).
1779 Um die
Stimme des Gewissens vernehmen und ihr folgen zu können, muß man in sich gehen.
Dieses Streben nach Innerlichkeit ist umso nötiger, als das Leben uns oft in
Gefahr bringt, jegliche Überlegung, Selbstprüfung und Selbstbesinnnung zu
unterlassen.
„Halte
Einkehr in dein Gewissen, dieses befrage! ... Haltet also Einkehr in euer
Inneres, Brüder! Und in allem, was ihr tut, schaut, daß Gott euer Zeuge
sei!" (Augustinus,
ep. Jo. 8,9).
1780 Die Würde
der menschlichen Person enthält und verlangt, daß das Gewissen richtig urteilt.
Zum Gewissen gehören: die Wahrnehmung der Moralprinzipien [Synderesisi, ihre
Anwendung durch eine Beurteilung der Gründe und der Güter unter den gegebenen
Umständen, und schließlich das Urteil über die auszuführenden oder bereits
durchgeführten konkreten Handlungen. Das kluge Urteil des Gewissens anerkennt
praktisch und konkret die Wahrheit über das sittlich Gute, die im Gesetz der
Vernunft ausgedrückt ist. Als klug bezeichnet man den Menschen, der sich diesem
Urteil gemäß entscheidet.
1781 Das
Gewissen ermöglicht es, für die vollbrachten Handlungen die Verantwortung zu
übernehmen. Hat der Mensch Böses getan, kann das rechte Gewissensurteil in ihm
immer noch Zeuge dafür sein, daß die moralische Wahrheit gilt, seine konkrete
Entscheidung aber schlecht ist. Der Schuldspruch des schlechten Gewissens
bleibt ein Unterpfand der Hoffnung und des Erbarmens. Indem er die begangene
Verfehlung bezeugt, mahnt er, um Vergebung zu bitten, das Gute doch noch auszuführen
und mit Hilfe der Gnade Gottes die Tugend unablässig zu pflegen.
„Wir werden unser Herz in seiner
Gegenwart beruhigen. Denn wenn das Herz uns auch verurteilt - Gott ist größer
als unser Herz, und er weiß alles" (1 Joh 3,19-20).
1782 Der Mensch
hat das Recht, in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu handeln, und sich
dadurch persönlich sittlich zu entscheiden. „Er darf also nicht gezwungen
werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert
werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereiche der
Religion" (DH 3).
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