Absatz 4 DER SCHÖPFER
279 ,,Im Anfang
schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1,1). Mit diesen feierlichen Worten
beginnt die Heilige Schrift. Das Glaubensbekenntnis übernimmt diese Worte,
indem es Gott, den Vater, den Allmächtigen, als den ,,Schöpfer des Himmels und
der Erde" bekennt, ,,der die sichtbare und die unsichtbare Welt"
geschaffen hat. Wir werden zunächst über den Schöpfer, dann über die Schöpfung
und schließlich über den Sündenfall sprechen, von dem Jesus Christus, der Sohn
Gottes, uns durch sein Kommen wieder aufgerichtet hat.
280 Die
Schöpfung ist ,,der Beginn der Heilsökonomie", ,,der Anfang der
Heilsgeschichte" (DCG 51), die in Christus gipfelt. Umgekehrt ist das
Christusmysterium die entscheidende Erhellung des Schöpfungsmysteriums; es
enthüllt das Ziel, auf das hin Gott ,,im Anfang ... Himmel und Erde" schuf
(Gen 1,1). Schon von Anfang an hatte Gott die Herrlichkeit der Neuschöpfung in
Christus vor Augen [Vgl. Röm 8,18-23.].
281 Aus diesem
Grund beginnen die Lesungen der Osternacht, der Feier der Neuschöpfung in
Christus, mit dem Schöpfungsbericht. Desgleichen bildet in der byzantinischen
Liturgie der Schöpfungsbericht stets die erste Lesung der Vigilien der
Hochfeste des Herrn. Nach dem Zeugnis der frühen Christenheit folgt die
Belehrung der Katechumenen über die Taufe dem gleichen Weg von der Schöpfung
zur Neuschöpfung [Vgl. Egeria, pereg. 46; Augustinus, catech. 3,5.].
I Die Katechese über die
Schöpfung
282 Die
Katechese über die Schöpfung ist entscheidend wichtig. Sie betrifft ja die
Grundlagen des menschlichen und des christlichen Lebens, denn sie formuliert
die Antwort des christlichen Glaubens auf die Grundfragen, die sich die
Menschen aller Zeiten gestellt haben: ,,Woher kommen wir?", ,,wohin gehen
wir?", ,,woher stammen wir?", ,,wozu sind wir da?", ,,woher
kommt alles, was da ist, und wohin ist es unterwegs?" Die beiden Fragen,
die nach dem Ursprung und die nach dem Ziel, lassen sich nicht voneinander
trennen. Sie sind für den Sinn und die Ausrichtung unseres Lebens und Handelns
entscheidend.
283 Die Frage
nach den Ursprüngen der Welt und des Menschen ist Gegenstand zahlreicher
wissenschaftlicher Forschungen, die unsere Kenntnis über das Alter und die
Ausmaße des Universums, über das Werden der Lebensformen und das Auftreten des
Menschen unerhört bereichert haben. Diese Entdeckungen sollten uns anregen,
erst recht die Größe des Schöpfers zu bewundern, ihm für all seine Werke und
für die Einsicht und Weisheit zu danken, die er den Gelehrten und Forschern
gibt. Mit Salomo können diese sagen: ,,Er verlieh mir untrügliche Kenntnis der
Dinge, so daß ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe ...,
denn es lehrte mich die Weisheit, die Meisterin aller Dinge" (Weish
7,17.21).
284 Das große
Interesse für diese Forschungen wird stark angespornt durch eine Frage anderer
Ordnung, die über das eigentliche Feld der Naturwissenschaften hinausgeht. Es
handelt sich nicht bloß um die Frage, wann und wie der Kosmos materiell
entstanden und der Mensch aufgetreten ist, sondern es geht um den Sinn dieses
Werdens:
ob es durch Zufall, durch ein
blindes Schicksal, eine namenlose Notwendigkeit bestimmt wird oder aber von
einem intelligenten und guten höheren Wesen, das wir Gott nennen. Und wenn die
Welt aus der Weisheit und Güte Gottes stammt, warum dann das Übel? Woher kommt
es? Wer ist dafür verantwortlich? Und gibt es eine Befreiung von ihm?
285 Von Anfang
an standen dem christlichen Glauben in der Frage nach den Ursprüngen Antworten
gegenüber, die anders lauteten als die christliche Antwort. In den alten
Religionen und Kulturen finden sich zahlreiche Mythen über die Ursprünge der
Welt. Gewisse Philosophen sagten, alles sei Gott; die Welt sei Gott oder das
Werden der Welt sei das Werden Gottes (Pantheismus). Andere sagten, die Welt
sei ein notwendiger Ausfluß Gottes; sie entströme ihm und münde wieder in ihn.
Wieder andere behaupteten, es gebe zwei ewige Prinzipien, das Gute und das
Böse, das Licht und die Finsternis; diese würden beständig miteinander ringen
(Dualismus; Manichäismus). Nach gewissen Auffassungen wäre die Welt (zumindest
die materielle Welt) schlecht, eine Verfallserscheinung, und somit
zurückzuweisen oder hinter sich zu lassen (Gnosis). Andere geben zwar zu, daß
die Welt von Gott geschaffen ist, aber wie von einem Uhrmacher, der sie nach
ihrer Herstellung sich selbst überlassen habe (Deismus). Andere schließlich
anerkennen keinen höheren Ursprung der Welt, sondern erblicken in ihr bloß das
Spiel einer Materie, die schon immer existiert habe (Materialismus). Alle diese
Lösungsversuche zeugen davon, daß die Frage nach den Ursprüngen dauernd und
überall gestellt wird. Dieses Suchen ist dem Menschen eigen.
286 Gewiß kann
schon der menschliche Verstand eine Antwort auf die Frage nach den Ursprüngen
finden. Das Dasein eines Schöpfergottes läßt sich dank dem Licht der
menschlichen Vernunft aus seinen Werken mit Gewißheit erkennen [Vgl. DS 3026.],
wenn auch diese Erkenntnis oft durch Irrtum verdunkelt und entstellt wird. Darum
bestärkt und erhellt der Glaube die Vernunft, damit sie diese Wahrheit richtig
versteht: ,,Aufgrund des Glaubens erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort
erschaffen worden und daß so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden
ist" (Hebr 11,3).
287 Die
Wahrheit von der Schöpfung ist für das ganze menschliche Leben so wichtig, daß
Gott in seiner Güte seinem Volk alles offenbaren wollte, was hierüber zu wissen
für das Heil bedeutsam ist. Über die jedem Menschen mögliche natürliche Erkenntnis
des Schöpfers [Vgl. Apg 17,24-29; Röm 1,19-20.]hinaus hat Gott dem Volk Israel
nach und nach das Mysterium der Schöpfung geoffenbart. Er, der die Patriarchen
berufen, das von ihm erwählte Volk Israel aus Ägypten herausgeführt, geschaffen
und geformt hat [Vgl. Jes 43,1.], offenbart sich als der, dem alle Völker der
Erde und die ganze Welt gehören, als der, der ganz allein ,,Himmel und Erde
gemacht hat" (Ps 115,15; 124,8; 134,3).
288 Somit läßt
sich die Offenbarung der Schöpfung nicht trennen von der Offenbarung und
Verwirklichung des Bundes, den Gott, der Einzige, mit seinem Volk geschlossen
hat. Die Schöpfung wird geoffenbart als der erste Schritt zu diesem Bund, als
das erste, universale Zeugnis der allmächtigen Liebe Gottes [Vgl. Gen 15,5; Jer
33,19-26.]. Die Wahrheit von der Schöpfung kommt auch in der Botschaft der
Propheten [Vgl. Jes 44,24.], im Gebet der Psalmen [Vgl. Ps 104.] und der
Liturgie sowie in den Weisheitssprüchen [Vgl. Spr 8, 22-31.] des auserwählten
Volkes immer stärker zum Ausdruck.
289 Unter allen
Aussagen der Heiligen Schrift über die Schöpfung nehmen die drei ersten Kapitel
des Buches Genesis einen einzigartigen Platz ein. Literarisch können diese
Texte verschiedene Quellen haben. Die inspirierten Autoren haben sie an den
Anfang der Schrift gestellt. In ihrer feierlichen Sprache bringen sie so die
Wahrheit über die Schöpfung, deren Ursprung und Ziel in Gott, deren Ordnung und
Gutsein, über die Berufung des Menschen und schließlich über das Drama der
Sünde und über die Hoffnung auf Heil zum Ausdruck. Im Lichte Christi, in der
Einheit der Heiligen Schrift und in der lebendigen Überlieferung der Kirche
gelesen, bleiben diese Aussagen die Hauptquelle für die Katechese über die
Mysterien des ,,Anfangs": Schöpfung, Sündenfall, Heilsverheißung.
II Die Schöpfung -Werk der
heiligsten Dreifaltigkeit
290 ,,Im Anfang
schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1,1). Drei Dinge werden in diesen ersten
Worten der Schrift ausgesagt: Der ewige Gott hat alles, was außer ihm
existiert, ins Dasein gerufen; er allein ist Schöpfer (das Zeitwort
,,erschaffen" hebr. ,,bara"] hat stets Gott zum Subjekt); alles, was
existiert - ,,Himmel und Erde" -, hängt von Gott ab, der das Dasein gibt.
291 ,,Im Anfang
war das Wort ... und das Wort war Gott ... Alles ist durch das Wort geworden,
und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist" (Joh 1,1-3). Das Neue
Testament offenbart, daß Gott alles durch das ewige Wort, seinen geliebten Sohn,
erschaffen hat. ,,In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden ...
alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in
ihm hat alles Bestand" (Kol 1,16-17). Der Glaube der Kirche bezeugt auch
das Schöpferwirken des Heligen Geistes:
Dieser ist der, der ,,lebendig
macht" (Credo von Nizäa-Konstantinopel), der ,,Schöpfergeist"
(,,Veni, Creator Spiritus": LH, Hymnus), der ,,Quell alles Guten"
(Byzantinische Liturgie, Tropar der Pfingstvesper).
292 Die
unzertrennliche Einheit des Schöpferwirkens des Sohnes und des Geistes mit dem
des Vaters wird im Alten Testament angedeutet [Vgl. Ps 33,6; 104,30; Gen
1,2-3.], im Neuen Bund geoffenbart, in der Glaubensregel der Kirche schließlich
klar ausgesprochen: ,,Nur einer ist Gott und Schöpfer ... er ist der Vater, er
ist Gott, er der Schöpfer, der Urheber, der Bildner, der durch sich selbst, das
heißt durch sein Wort und seine Weisheit ... alles gemacht hat" (Irenäus,
hær. 2,30,9), ,,durch den Sohn und den Geist", die gleichsam ,,seine
Hände" sind (ebd., 4,20,1). Die Schöpfung ist das gemeinsame Werk der
heiligsten Dreifaltigkeit.
III ,,Die Welt ist zur Ehre
Gottes geschaffen"
293 Die Schrift
und die Überlieferung lehren und preisen stets die Grundwahrheit: ,,Die Welt
ist zur Ehre Gottes geschaffen" (1. Vatikanisches K.: DS 3025). Wie der
hl. Bonaventura erklärt, hat Gott alles erschaffen ,,nicht um seine
Herrlichkeit zu mehren, sondern um seine Herrlichkeit zu bekunden und
mitzuteilen" (sent. 2,1,2,2,1). Gott hat nämlich keinen anderen Grund zum
Erschaffen als seine Liebe und Güte: ,,Die Geschöpfe gingen aus der mit dem
Schlüssel der Liebe geöffneten Hand [Gottes] hervor" (Thomas v. A., sent.
2, prol.). Und das Erste Vatikanische Konzil erklärt:
,,Dieser
alleinige wahre Gott hat in seiner Güte und ,allmächtigen Kraft‘ -nicht um
seine Seligkeit zu vermehren, noch um [Vollkommenheit] zu erwerben, sondern um
seine Vollkommenheit zu offenbaren durch die Güter, die er den Geschöpfen
gewährt - aus völlig freiem Entschluß ,von Anfang der Zeit an aus nichts
zugleich beide Schöpfungen geschaffen, die geistige und die körperliche"‘
(DS 3002).
294 Gottes Ehre
ist es, daß sich seine Güte zeigt und mitteilt. Dazu ist die Welt geschaffen.
,,Er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch
Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob
seiner herrlichen Gnade" (Eph 1,5-6). ,,Denn Gottes Ruhm ist der lebendige
Mensch; das Leben des Menschen aber ist die Anschauung Gottes. Wenn ja schon
die Offenbarung Gottes durch die Schöpfung allen, die auf Erden leben, das
Leben verleiht, wieviel mehr muß dann die Kundgabe des Vaters durch das Wort
denen, die Gott schauen, Leben verleihen" (Irenäus, hær. 4,20,7). Das
letzte Ziel der Schöpfung ist es, daß Gott ,,der Schöpfer von allem, endlich
,alles in allem‘ (1 Kor 15,28) sein wird, indem er zugleich seine Herrlichkeit
und unsere Seligkeit bewirkt" (AG 2).
IV Das Mysterium der Schöpfung
Gott erschafft in Weisheit und
Liebe
295 Wir
glauben, daß Gott die Welt nach seiner Weisheit erschaffen hat [Vgl. Weish
9,9.]. Sie ist nicht das Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit, eines blinden Schicksals
oder des Zufalls. Wir glauben, daß sie aus dem freien Willen Gottes hervorgeht,
der die Geschöpfe an seinem Sein, seiner Weisheit und Güte teilhaben lassen
wollte: ,,Denn du bist es, der die Welt erschaffen hat, durch deinen Willen war
sie und wurde sie erschaffen" (Offb 4,11). ,,Herr, wie zahlreich sind
deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht" (Ps 104,24). ,,Der
Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken" (Ps
145,9).
Gott erschafft ,,aus nichts"
296 Wir
glauben, daß Gott zum Erschaffen nichts schon vorher Existierendes und
keinerlei Hilfe benötigt [Vgl. 1. Vatikanisches K.: DS 3022.]. Die Schöpfung
ist auch nicht zwangsläufig aus der göttlichen Substanz ausgeflossen [Vgl. 1.
Vatikanisches K.: OS 3023-3024.]. Gott erschafft in Freiheit ,,aus nichts"
(DS 800; 3025).
,,Falls
Gott die Welt aus einem schon vorher existierenden Stoff gezogen hätte, was
wäre dann dabei außerordentlich? Wenn man einem menschlichen Handwerker das
Material gibt, macht er daraus alles, was er will. Die Macht Gottes hingegen
zeigt sich gerade darin, daß er vom Nichts ausgeht, um alles zu machen, was er
will" (Theophil v. Antiochien, Autol. 2,4).
297 Der Glaube
an die Schöpfung ,,aus nichts" wird in der Schrift als eine verheißungs -
und hoffnungsvolle Wahrheit bezeugt. So ermutigt im zweiten Buch der Makkabäer
eine Mutter ihre sieben Söhne zum Martyrium mit den Worten:
,,Ich
weiß nicht, wie ihr in meinem Leib entstanden seid, noch habe ich euch Atem und
Leben geschenkt; auch habe ich keinen von euch aus den Grundstoffen
zusammengefügt. Nein, der Schöpfer der Welt hat den werdenden Menschen geformt,
als er entstand; er kennt die Entstehung aller Dinge. Er gibt euch gnädig Atem
und Leben wieder, weil ihr jetzt um seiner Gesetze willen nicht auf euch achtet
... Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh
alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen, und
so entstehen auch die Menschen" (2 Makk 7,22-23.28).
298 Weil Gott
aus nichts erschaffen kann, kann er durch den Heiligen Geist Sündern das Leben
der Seele schenken, indem er in ihnen ein reines Herz erschafft [Vgl. Ps
51,12.], und den Verstorbenen das Leben des Leibes, indem er diesen auferweckt,
denn er ist der ,,Gott, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist,
ins Dasein ruft" (Röm 4,17). Und da er imstande war, durch sein Wort aus
dem Dunkel das Licht erstrahlen zu lassen [Vgl. Gen 1,3.], kann er auch denen,
die ihn nicht kennen, das Licht des Glaubens schenken [Vgl. 2 Kor 4,6.].
Gott erschafft eine geordnete und
gute Welt
299 Weil Gott
mit Weisheit erschafft, ist die Schöpfung geordnet: ,,Du aber hast alles nach
Maß, Zahl und Gewicht geordnet" (Weish 11,20). Im ewigen Wort und durch
das ewige Wort, ,,das Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15), ist
die Schöpfung erschaffen. Für den Menschen, der nach Gottes Bild ist [Vgl. Gen
1,26.], ist sie bestimmt; an ihn, der zu einer persönlichen Beziehung zu Gott
berufen ist, richtet sie sich. Was uns Gott durch seine Schöpfung sagt [Vgl. Ps
19,2-5.], kann unser Verstand, der am Licht des göttlichen Verstandes teilhat,
vernehmen, allerdings nicht ohne große Mühe und nur in einer demütigen,
ehrfürchtigen Haltung gegenüber dem Schöpfer und seinem Werk [Vgl. Ijob 42,3.].
Weil die Schöpfung aus der göttlichen Güte hervorgegangen ist, hat sie an
dieser Güte teil [,,Gott sah, daß es gut war..., sehr gut": Gen
1,4.10.12.18.21.31.]. Die Schöpfung ist von Gott gewollt als ein Geschenk an
den Menschen, als ein Erbe, das für ihn bestimmt und ihm anvertraut ist. Die
Kirche mußte wiederholt dafür einstehen, daß die Schöpfung, einschließlich der
materiellen Welt, gut ist [Vgl. DS 286; 455-463; 800; 1333; 3002.].
Gott ist über die Schöpfung
erhaben und in ihr zugegen
300 Gott ist
unendlich größer als all seine Werke [Vgl. Sir 43,28.]. ,,Über den Himmel
breitest du deine Hoheit aus" (Ps 8,2); ,,seine Größe ist
unerforschlich" (Ps 145,3). Doch weil er der erhabene, freie Schöpfer, die
Erstursache von allem ist, was existiert, ist er im Innersten seiner Geschöpfe
zugegen: ,,In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (Apg 17,28).
Nach dem hl. Augustinus ist Gott ,,höher als mein Höchstes und innerlicher als
mein Innerstes" (conf. 3,6,11).
Gott erhält und trägt die
Schöpfung
301 Nach der
Schöpfung überläßt Gott sein Geschöpf nicht einfach sich selbst. Er gibt ihm
nicht nur das Sein und das Dasein, sondern er erhält es auch in jedem
Augenblick im Sein, gibt ihm die Möglichkeit zu wirken und bringt es an sein
Ziel. Diese völlige Abhängigkeit vom Schöpfer zu erkennen, fuhrt zu Weisheit
und Freiheit, zu Freude und Vertrauen.
,,Du
liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast;
denn hättest du etwas gehaßt, so hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte
etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben,
das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein
Eigentum ist‘ Herr, du Freund des Lebens" (Weish 11,24-26).
V Gott verwirklicht seinen Plan:
die göttliche Vorsehung
302 Die
Schöpfung hat ihre eigene Güte und Vollkommenheit. Sie ging jedoch aus den
Händen des Schöpfers nicht ganz fertig hervor. Sie ist so geschaffen, daß sie
noch ,,auf dem Weg" [in statu viæ] zu einer erst zu erreichenden letzten
Vollkommenheit ist, die Gott ihr zugedacht hat. Wir nennen die Fügungen, durch
die Gott seine Schöpfung dieser Vollendung entgegenführt, die ,,göttliche
Vorsehung".
,,Alles,
was er geschaffen hat, schützt und lenkt Gott durch seine Vorsehung, ,sich
kraftvoll von einem Ende bis zum anderen erstreckend und alles milde ordnend‘
(Weish 8,1). ,Alles nämlich ist nackt und bloß vor seinen Augen‘ (Hebr 4,13),
auch das, was durch die freie Tat der Geschöpfe geschehen wird" (1.
Vatikanisches K.: DS 3003).
303 Das Zeugnis
der Schrift lautet einstimmig: Die Fürsorge der Vorsehung ist konkret und
unmittelbar; sie kümmert sich um alles, von den geringsten Kleinigkeiten bis zu
den großen weitgeschichtlichen Ereignissen. Die heiligen Bücher bekräftigen
entschieden die absolute Souveränität Gottes im Lauf der Ereignisse: ,,Unser
Gott ist im Himmel; alles, was ihm gefällt, das vollbringt er" (Ps 115,3).
Und Christus ist der, ,,der öffnet, so daß niemand mehr schließen kann, der
schließt, so daß niemand mehr öffnen kann" (Offb 3,7). ,,Viele Pläne faßt
das Herz des Menschen, doch nur der Ratschluß des Herrn hat Bestand" (Spr
19,21).
304 So schreibt
der Heilige Geist, der Hauptautor der Heiligen Schrift, Taten oft Gott zu, ohne
Zweitursachen zu erwähnen. Das ist nicht eine primitive Redeweise, sondern eine
tiefsinnige Art, an den Vorrang Gottes und seine absolute Herrschaft über die
Geschichte und die Welt zu erinnern [Vgl. Jes 10,5-15; 45,5-7; Dtn 32,39; Sir
11,14.] und so zum Vertrauen auf ihn zu erziehen. Das Psalmengebet ist die
große Schule dieses Vertrauens [Vgl. z. B. Ps 22; 32; 35; 103; 138.].
305 Jesus
verlangt eine kindliche Hingabe an die Vorsehung des himmlischen Vaters, der
sich um die geringsten Bedürfnisse seiner Kinder kümmert:
,,Macht euch also keine Sorgen
und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? ... Euer himmlischer
Vater weiß, daß ihr das alles braucht. Euch aber muß es zuerst um sein Reich
und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben"
(Mt 6,31-33) [Vgl. Mt 10, 29-31.].
Die Vorsehung und die
Zweitursachen
306 Gott ist
souverän Herr über seinen Ratschluß. Aber um ihn auszuführen, bedient er sich
auch der Mitwirkung der Geschöpfe. Das ist nicht ein Zeichen von Schwäche,
sondern der Größe und Güte Gottes. Denn Gott gibt seinen Geschöpfen nicht nur
das Dasein, sondern auch die Würde, selbst zu handeln, Ursache und Ursprung
voneinander zu sein und so an der Ausführung seines Ratschlusses mitzuarbeiten.
307 Den
Menschen gewährt Gott sogar die Möglichkeit, in Freiheit an seiner Vorsehung
teilzunehmen, indem er ihnen die Verantwortung anvertraut, sich die Erde zu
,,unterwerfen" und über sie zu herrschen [Vgl. Gen 1,26-28]. Gott
ermöglicht so den Menschen, vernünftige, freie Ursachen zu sein, um das
Schöpfungswerk zu vervollständigen und zu ihrem und der Mitmenschen Wohl seine
Harmonie zu vervollkommnen. Die Menschen sind oft unbewußt Mitarbeiter Gottes,
können jedoch auch bewußt auf den göttlichen Plan eingehen durch ihre Taten,
ihre Gebete, aber auch durch ihre Leiden [Vgl. Kol 1,24]. Dadurch werden sie
voll und ganz ,,Mitarbeiter Gottes" (1 Kor 3,9; 1 Thess 3,2) und seines
Reiches [Vgl. Kol 4,11.].
308 Vom Glauben
an Gott den Schöpfer läßt sich somit die Wahrheit nicht trennen, daß in jedem
Tun seiner Geschöpfe Gott tätig ist. Er ist die Erstursache, die in und durch
die Zweitursachen wirkt. ,,Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das
Vollbringen bewirkt, nach seinem Wohlgefallen" (Phil 2, 13) [Vgl. 1 Kor
12,6.]. Diese Wahrheit beeinträchtigt die Würde des Geschöpfes keineswegs,
sondern erhöht sie. Durch die Macht, Weisheit und Güte Gottes aus dem Nichts
gehoben, vermag das Geschaffene nichts, wenn es von seinem Ursprung
abgeschnitten ist, denn ,,das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts"
(GS 36,3). Erst recht kann es ohne die Hilfe der Gnade sein letztes Ziel nicht
erreichen [Vgl. Mt 19,26; Joh 15,5; Phil 4, 13.].
Die Vorsehung und das Ärgernis
des Bösen
309 Wenn doch
Gott, der allmächtige Vater, der Schöpfer einer geordneten und guten Welt, sich
aller seiner Geschöpfe annimmt, warum gibt es dann das Böse? Jede vorschnelle
Antwort auf diese ebenso bedrängende wie unvermeidliche, ebenso schmerzliche
wie geheimnisvolle Frage wird unbefriedigt lassen. Der christliche Glaube als ganzer
ist die Antwort auf diese Frage: Das Gutsein der Schöpfung, das Drama der
Sünde, die geduldige Liebe Gottes, der dem Menschen entgegenkommt. Er tut dies
durch seine Bundesschlüsse, durch die erlösende Menschwerdung seines Sohnes und
die Gabe des Geistes; er tut es durch das Versammeln der Kirche und die Kraft
der Sakramente; er tut es schließlich durch die Berufung zu einem glückseligen
Leben. Die freien Geschöpfe sind im voraus eingeladen, diese Berufung
anzunehmen. Sie können diese aber auch - ein erschreckendes Mysterium - im
voraus ausschlagen. Es gibt kein Element der christlichen Botschaft, das nicht
auch Antwort auf das Problem des Bösen wäre.
310 Warum aber
hat Gott nicht eine so vollkommene Welt erschaffen, daß es darin nichts Böses
geben könnte? In seiner unendlichen Macht könnte Gott stets etwas Besseres
schaffen [Vgl. Thomas
v. A., s. th. 1,25,6.]. In
seiner unendlichen Weisheit und Güte jedoch wollte Gott aus freiem Entschluß
eine Welt erschaffen, die ,,auf dem Weg" zu ihrer letzten Vollkommenheit
ist. Dieses Werden bringt nach Gottes Plan mit dem Erscheinen gewisser
Daseinsformen das Verschwinden anderer, mit dem Vollkommenen auch weniger
Vollkommenes mit sich, mit dem Aufbau auch den Abbau in der Natur. Solange die
Schöpfung noch nicht zur Vollendung gelangt ist, gibt es mit dem physisch Guten
folglich auch das physische Übel [Vgl. Thomas v. A., s. gent. 3,71.].
311 Die Engel
und die Menschen, intelligente und freie Geschöpfe, müssen ihrer letzten Bestimmung
aus freier Wahl entgegengehen und ihr aus Liebe den Vorzug geben. Sie können
darum auch vom Weg abirren und sie haben auch tatsächlich gesündigt. So ist das
moralische Übel in die Welt gekommen, das unvergleichlich schlimmer ist als das
physische Übel. Gott ist auf keine Weise, weder direkt noch indirekt, die
Ursache des moralischen Übels [Vgl. Augustinus, lib. 1,1,1; Thomas v. A., s.
th. 1-2,79, 1. ]. Er läßt es jedoch zu, da er die Freiheit seines Geschöpfes
achtet, und er weiß auf geheimnisvolle Weise Gutes daraus zu ziehen:
,,Der
allmächtige Gott ... könnte in seiner unendlichen Güte unmöglich irgend etwas
Böses in seinen Werken dulden, wenn er nicht dermaßen allmächtig und gut wäre,
daß er auch aus dem Bösen Gutes zu ziehen vermöchte" (Augustinus, enchir.
11,3).
312 So kann man
mit der Zeit entdecken, daß Gott in seiner allmächtigen Vorsehung sogar aus den
Folgen eines durch seine Geschöpfe verursachten moralischen Übels etwas Gutes
zu ziehen vermag. Josef sagt zu seinen Brüdern: ,,Nicht ihr habt mich hierher
geschickt, sondern Gott ... Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott
aber hatte dabei Gutes im Sinn ... um ... viel Volk am Leben zu erhalten"
(Gen 45,8; 50,20) [Vgl. Tob 2, 12-18 Vg.]. Aus dem schlimmsten moralischen
Übel, das je begangen worden ist, aus der durch die Sünden aller Menschen
verschuldeten Verwerfung und Ermordung des Sohnes Gottes, hat Gott im Übermaß
seiner Gnade [Vgl. Röm 5,20.]das größte aller Güter gemacht:
die Verherrlichung Christi und
unsere Erlösung. Freilich wird deswegen das Böse nicht zu etwas Gutem.
313 ,,Wir
wissen, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt" (Röm
8,28). Das bezeugen die Heiligen immer wieder:
Die
hl. Katharina von Siena sagt deshalb ,,zu denen, die an dem, was ihnen zustößt,
Ärgernis nehmen und sich dagegen auflehnen": ,,Mies geht aus Liebe hervor,
alles ist auf das Heil des Menschen hingeordnet. Gott tut nichts außer mit
diesem Ziel" (dial. 4,138).
Der
hl. Thomas Morus tröstet kurz vor seinem Martyrium seine Tochter: ,,Es kann
nichts geschehen, was Gott nicht will. Was immer er aber will, so schlimm es
auch scheinen mag, es ist für uns dennoch wahrhaft das Beste" (Brief).
Und Juliana
von Norwich sagt: ,,Durch die Gnade Gottes wurde ich inne, daß ich mich fest an
den Glauben halten und nicht weniger fest sehen muß, daß alles, wie es auch
sein mag, gut sein wird. ... Und du wirst sehen, daß alles, alles gut sein
wird" (rev. 32).
314 Wir glauben
fest, daß Gott der Herr der Welt und der Geschichte ist. Die Wege seiner
Vorsehung sind uns jedoch oft unbekannt. Erst am Schluß, wenn unsere
Teilerkenntnis zu Ende ist und wir Gott ,,von Angesicht zu Angesicht" schauen
werden (1 Kor 13,12), werden wir voll und ganz die Wege erkennen, auf denen
Gott sogar durch das Drama des Bösen und der Sünde hindurch seine Schöpfung zur
endgültigen Sabbatruhe [Vgl. Gen 2,2.] führt, auf die hin er Himmel und Erde
erschaffen hat.
KURZTEXTE
315 Mit der Erschaffung der
Welt und des Menschen hat Gott das erste und allumfassende Zeugnis seiner
allmächtigen Liebe und Weisheit sowie die erste Ankündigung seines „gnädigen
Ratschlusses" gegeben, welcher sich in der Neuschöpfung durch Christus
verwirklicht.
316 Das Schöpfungswerk wird
insbesondere dem Vater zugeschrieben, doch ist es ebenfalls eine
Glaubenswahrheit, daß der Vater, der Sohn und der Heilige Geist das einzige,
unteilbare Schöpfungsprinzip sind.
317 Gott allein hat das
Universum frei, direkt und ohne irgendeine Hilfe erschaffen.
318 Kein Geschöpf hat die
unendliche Macht , die notwendig ist, um im eigentlichen Sinn des Wortes zu
„erschaffen", das heißt etwas, das überhaupt nicht existierte,
hervorzubringen und ihm das Sein zu geben, es „aus nichts" [ex nihilo] ins
Dasein zu rufen …[Vgl. DS 3624.].
319 Gott hat die
Welterschaffen, um seine Herrlichkeit zu zeigen und mitzuteilen. Daß seine
Geschöpfe an seiner Wahrheit, Güte und Schönheit teilhaben - das ist die
Herrlichkeit, für die sie Gott erschaffen hat.
320 Gott, der das Weltall
erschaffen hat, erhält es im Dasein durch sein Wort, den Sohn, der „das All
durch sein machtvolles Wort" trägt (Hebr 1, 3), und durch seinen
Schöpfergeist, der das Leben spendet.
321 Die göttliche Vorsehung
besteht in den Fügungen, durch die Gott alle Geschöpfe mit Weisheit und Liebe
ihrem letzten Ziel entgegenführt.
322 Christus fordert uns auf,
uns kindlich auf die Forsehung unseres himmlischen Vaters zu verlassen [Vgl. Mt
6,26 -34.] und der Apostel Petrus nimmt dies auf:„Werft alle eure Sorge auf
ihn, denn er kümmert sich und euch" (1 Petr 5,7) [Vgl. Ps 55,23.].
323 Die göttliche Vorsehung
handelt auch durch das Handeln der Geschöpfe. Den Menschen gibt Gott die
Möglichkeit, in Freiheit an seinen Plänen mitzuwirken.
324 Daß Gott das physische und
das moralische Böse zuläßst, ist ein Mysterium, das der durch seinen Sohn Jesus
Christus erhellt, der gestorben und auferstanden ist, um das Böse zu besiegen.
Der Glaube gibt uns die Gewißheit, daß Gott das Böse nicht zuließe, wenn er
nicht auf Wegen, die wir erst im ewigen Leben Vollständig erkennen werden,
sogar aus dem Bösen Gutes hervorgehen ließe.
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